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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Beziehung ist rein dienstlicher Natur. Und da du mich so provozierst – das ist jetzt sehr vertraulich: Zu den Regionen, aus denen er die meisten Berichte erhält, gehört der Norden von New Jersey. Tucson, die Region um Buffalo sowie der Norden von New Jersey. Er ist sehr verschwiegen – das muss er sein –, aber es gibt da einige Imame, wenn ich das Wort richtig ausspreche, die entschieden unter Beobachtung stehen. Fürchterliche Sachen gegen Amerika predigen sie zwar alle, aber einige von ihnen gehen noch weiter. Das heißt, sie treten für Gewalt gegen den Staat ein.»
    «Na, wenigstens sind’s die Imame. Wenn die Rabbis damit anfangen würden, müsste Jack sich ja zu den Waffen melden. Obwohl er nie in eine Synagoge geht. Vielleicht würde er sich sogar besser fühlen, wenn er’s täte.»
    Nun hält Hermione ihre Empörung nicht mehr zurück. «Also wirklich! Manchmal frage ich mich, was Jack eigentlich in dir sieht. Nichts nimmst du ernst.»
    «Das unter anderem hat ihn angezogen. Er ist depressiv, da hat ihm die Leichtigkeit an mir gefallen.»
    Eine Pause entsteht, und Beth hat das Gefühl, dass ihre Schwester sich die naheliegende Replik verkneift: Leicht ist sie jetzt wahrhaftig nicht. Unten in Washington seufzt Hermione auf. «Tja, dann lasse ich dich mal wieder zu deiner Seifenoper gehen. Mein anderes Telefon blinkt rot; er will etwas von mir.»
    «War nett, mit dir zu reden», lügt Beth.
    Ihre ältere Schwester hat die Rolle ihrer Mutter übernommen und lässt sie nicht vergessen, was alles an Beth nicht in Ordnung ist. Sie hat sich, wie man so sagt, «gehen lassen». Der Geruch ihres Körpers dringt aus den tiefen Falten zwischen den Fettwülsten, in denen sich eine dunkle Schweißschmiere ansammelt, an ihre Nase; in der Badewanne schwabbelt ihr Fleisch um sie herum wie ein Gebilde aus riesigen Blasen – eine zähflüssige Masse, die träge nach oben blubbert. Wie ist das nur mit ihr geschehen? Als junges Mädchen hat sie gegessen, was sie wollte; nie hatte sie das Gefühl, sie esse mehr als andere, und hat es noch immer nicht; bei ihr setzt das Essen nur mehr an. Manche Menschen haben größere Zellen als andere, hat sie gelesen. Einen anderen Stoffwechsel. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sie in diesem Haus hier gestrandet ist, und in dem davor, an der Ninth Street, und in dem noch davor, eine halbe Meile näher am Zentrum, bevor die Gegend gar zu sehr herunterkam – ausgesetzt von einem Mann, der sie verlassen hat, ohne es ausdrücklich zu tun. Wer könnte es ihm auch verübeln, wo er Tag für Tag an der High School seinen Lebensunterhalt verdienen muss? In den ersten Jahren ihrer Ehe tat es ihr leid für ihn, aber mit dem Älterwerden hat sie allmählich erkannt, dass er alles dramatisiert – den Umstand, dass er im Winter bei Dunkelheit aus dem Haus muss und wegen seiner Nebenverpflichtungen erst bei Dunkelheit heimkommt, seine Problemschüler, seine Notsitzungen mit den Eltern straffällig gewordener Schüler. Wie oft war er deprimiert nach Hause gekommen wegen all der Probleme, die er nicht lösen konnte, wegen der Leute, die ihr Leben in New Prospect vergeudeten und ihre Ziellosigkeit nun an die Kinder weitergaben, wegen der Hoffnungslosigkeit? «Beth, alles ist ihnen schnurzegal. Sie haben nie eine Ordnung kennen gelernt. Sie können sich kein Leben vorstellen, das über die nächste Spritze, das nächste Besäufnis, den nächsten Ärger mit der Polizei, der Bank oder der Einwanderungsbehörde hinausreicht. Diese armen Kinder – in den Genuss einer Kindheit sind sie nie gekommen. Du siehst, wie sie die neunte Klasse noch mit einem Rest von Hoffnung beginnen, mit einer Spur des Eifers, den Zweitklässler haben, die noch daran glauben, dass man belohnt wird, wenn man die Regeln lernt und richtig büffelt; und bis sie ihr Abschlussdiplom haben, falls sie so weit kommen, haben wir es ihnen restlos ausgetrieben. Wer ‹wir› ist? Amerika, nehme ich an, obwohl man kaum den Finger auf die Stelle legen kann, an der es falsch läuft. Mein Großvater hat geglaubt, der Kapitalismus sei zum Untergang verdammt, die Unterdrückung werde notwendigerweise immer stärker, bis das Proletariat endlich die Barrikaden stürmt und das Paradies der Arbeiterklasse errichtet. Doch das ist nicht eingetreten; entweder waren die Kapitalisten zu schlau, oder das Proletariat war zu dumm. Vorsichtshalber haben sie das Etikett ‹Kapitalismus› ersetzt durch solche, auf denen ‹freie Marktwirtschaft›

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