Terrorist
Leute nicht vor dem Gefängnis. Im Gegensatz zur Alten Welt. Im Gegensatz zu den Saudis, zum Irak von früher.»
«Papa», sagt Charlie beschwichtigend, «in den USA gibt’s mehr Häftlinge als sonst wo in der Welt.»
«Nicht mehr als in Russland. Oder in China, bloß erfahren wir’s nicht.»
«Ganz schön viele jedenfalls – bald zwei Millionen. Für die jungen schwarzen Frauen gibt’s nicht mal genug Männer, weil die alle im Gefängnis sitzen!»
«Gefängnisse sind für Verbrecher da. Drei-, viermal im Jahr brechen sie im Laden ein. Wenn sie kein Geld finden, schlagen sie die Möbel kaputt und scheißen überall hin. Ekelhaft!»
«Papa, sie sind unterprivilegiert. Für sie sind wir reich.»
«Dein Freund Saddam Hussein weiß, was Gefängnisse sind. Die Kommunisten früher wussten’s auch. Der Durchschnittsmensch in diesem Land hier hat keine Ahnung von Gefängnissen. Er fürchtet sich nicht davor. Er macht seinen Job, hält sich an die Gesetze. Sind ja auch nicht schwer einzuhalten, die Gesetze: nicht stehlen. Nicht töten. Nicht die Frau von jemand anderm bumsen.»
Einige von Ahmeds Schulkameraden an Central High hatten gegen Gesetze verstoßen, waren vor das Jugendgericht gekommen und wegen Drogenbesitz, Einbruch oder Trunkenheit am Steuer verurteilt worden. Die übelsten darunter betrachteten Gerichte und Gefängnisse als einen Teil des normalen Lebens, der für sie keinen Sehrecken barg; sie hatten sich bereits damit abgefunden. Diese Erfahrungen würde Ahmed gern zu der Debatte beitragen, doch Charlie kommt ihm zuvor; pfiffig gibt er zu erkennen, dass er den Frieden sucht, gleichzeitig aber darauf brennt, sein schlagendes Argument vorzubringen: «Und was ist mit unserem kleinen Konzentrationslager in Guantanamo, Papa? Die armen Kerle dort haben nicht mal Zugang zu einem Anwalt. Sie haben nicht mal Imame, die keine Spitzel sind.»
«Das sind feindliche Soldaten», sagt Habib Chehab verdrossen; er möchte die Diskussion beenden, kann sich aber nicht geschlagen geben. «Das sind gefährliche Leute. Sie wollen Amerika zerstören. Das sagen sie vor Reportern, obwohl sie von uns besser ernährt werden als jemals von den Taliban. Für sie war der elfte September ein großer Spaß. Für sie ist das Krieg, Dschihad. Das sagen sie sogar selber. Was erwarten sie denn – dass die Amerikaner kuschen und sich nicht verteidigen? Sogar Bin Laden rechnet mit Gegenwehr.»
«Dschihad muss nicht Krieg bedeuten», sagt Ahmed so schüchtern, dass ihm die Stimme kippt. «Es bedeutet, dass man bestrebt ist, den Weg Gottes zu gehen. Es kann auch einen inneren Kampf bedeuten.»
Der ältere Chehab betrachtet ihn mit neu erwachtem Interesse. Seine Augen sind von einem helleren Braun als die seines Sohnes; sie sind goldene Murmeln auf wässrigweißem Grund. «Du bist ein guter Junge», sagt er feierlich.
Charlie legt seinen kräftigen Arm fest um Ahmeds hagere Schultern, wie um zum Ausdruck zu bringen, dass zwischen ihnen dreien Solidarität herrscht. «Das sagt er nicht zu jedem», vertraut er dem Neuling an.
Das Einstellungsgespräch findet hinten in der Ausstellungshalle statt, wo eine Theke ein paar Stahlschreibtische von dem übrigen Raum abtrennt; jenseits der Tische führen zwei Milchglastüren zu den Büros. Sonst dient die gesamte Halle als Ausstellungsfläche – ein Grauen erregendes Labyrinth aus Stühlen, Beistelltischen, Couchtischen, Tischlampen, Stehlampen, Sofas, Sesseln, Esstischen mit passenden Stühlen, Fußschemeln, Büfetts, Kronleuchtern, die so dicht hängen wie Dschungelranken, Wandleuchten, emailliert oder in unterschiedlich behandeltem Metall, großen und kleinen Spiegeln in sachlichen bis prunkvollen Ausführungen, in vergoldeten Rahmen oder in solchen, die versilberte Gebinde aus Blättern und prallen Blüten bilden, aus geschnitzten Bändern und Adlern im Profil, mit erhobenen Schwingen und gekrümmten Krallen; über Ahmeds verschrecktes Spiegelbild hinweg glotzen amerikanische Adler ihm entgegen, einem schmalen Jungen gemischter Abstammung in weißem Hemd und schwarzen Jeans.
«Eine Treppe tiefer», sagt der gedrungene, rundliche Vater mit der glänzenden, gebogenen Nase und den dunklen Tränensäcken unter den müden goldenen Augen, «haben wir die Gartenmöbel stehen, für Rasen und Veranda, aus Korbgeflecht oder zum Zusammenklappen, und sogar ein paar Pavillons in Aluminium, rundum mit Drahtgeflecht ausgestattet, damit die Familie vor Insekten geschützt ist, wenn sie mal im Freien
Weitere Kostenlose Bücher