Terrorist
Kastanienwald gefällt, um sich Hütten zu bauen und Feuerholz zu beschaffen. Es gab in diesem Winter so viel Schnee, dass der Nachschub nicht durchkam und sie fast verhungert wären.»
«Für die Welt heute wär’s vielleicht besser gewesen», wirft Ahmed ein, um mit Charlie Schritt zu halten, «wenn sie tatsächlich verhungert waren. Dann wäre aus den Vereinigten Staaten so etwas wie Kanada geworden, ungläubig zwar, aber ein friedliches, vernünftiges Land.»
Charlies überraschtes Lachen schlägt in ein nasales Schnauben um. «Na, träum schön weiter, Medizinmann. Für Frieden und Vernunft gibt’s hier zu viel Energie. Widerstreitende Kräfte – so steht’s in der Verfassung, und mit denen haben wir’s zu tun.» Er verlagert sein Gewicht auf dem Sitz und schüttelt sich eine Marlboro aus dem Päckchen. Durch den Rauch, der sein Gesicht umwabert, starrt er mit zusammengekniffenen Augen durch die Windschutzscheibe und denkt offenbar über die Dinge nach, die er seinem jungen Fahrer gerade gesagt hat. «Wenn wir das nächste Mal auf der Neun nach Süden unterwegs sind, sollten wir einen Abstecher zum Schlachtfeld von Monmouth machen. Die Amerikaner fielen zurück, hielten sich aber gegen die Briten immerhin so gut, dass die Franzosen fanden, es könnte sich lohnen, sie zu unterstützen. Die Spanier und Holländer kamen zum gleichen Schluss. Ganz Europa war damals darauf aus, England zurechtzustutzen – wie heute die Vereinigten Staaten. Bloß war die Ironie die: Ludwig der Sechzehnte gab so viel Geld zu unserer Unterstützung aus, dass er die Franzosen wegen der Steuern, die er ihnen abforderte, derart reizte, dass sie sich gegen ihn erhoben und ihn köpften. Eine Revolution führte zur nächsten. So was kommt vor.» Charlie atmet tief aus, und dann verkündet er mit gedämpfter Stimme, als sei er sich nicht sicher, ob Ahmed seine Worte vernehmen sollte, eine geheime Botschaft: «Weißt du, die Geschichte ist nie aus und vorbei. Sie findet auch jetzt statt. Die Revolution hört nie auf. Wenn du ihr einen Kopf abschneidest, wachsen ihr zwei neue.»
«Die Hydra», sagt Ahmed, um zu zeigen, dass er nicht völlig unwissend ist. In Scheich Rashids Predigten taucht sie immer wieder auf, er illustriert damit die Vergeblichkeit des amerikanischen Kreuzzugs gegen den Islam; zuerst jedoch ist Ahmed dem Bild im Kinderfernsehen begegnet, in den Zeichentrickfilmen, die er sonntagmorgens sah, wenn seine Mutter noch schlief. Dann war er im Wohnzimmer mit dem Fernsehgerät ganz allein – dort der aufgeregte, anmaßende elektronische Kasten mit all den Schluckaufs, Knalls und Crashs, mit den überdrehten, kieksigen Stimmen der Zeichentrickabenteuer, und hier sein Publikum, das reglose und still zuschauende Kind, das den Ton ganz leise gestellt hat, damit seine Mutter sich nach ihrer Verabredung vom Abend davor ausschlafen kann. Die Hydra war eine Comicfigur, deren viele Köpfe aufwogenden Hälsen miteinander plapperten.
«Aus den Revolutionen der Vergangenheit», fährt Charlie vertraulich fort, «lässt sich für unseren Dschihad eine Menge lernen.» Da Ahmed darauf gar nichts sagt, fühlt sein Mitfahrer sich bemüßigt, rasch eindringlich zu fragen: «Du bist doch dem Dschihad verpflichtet?»
«Selbstverständlich. Der Prophet fordert es ja im Heiligen Buch.» Und Ahmed zitiert: «Mohammed ist der Gesandte Gottes. Und diejenigen, die mit ihm sind, sind den Ungläubigen gegenüber heftig, unter sich aber mitfühlend.»
Dennoch, der Dschihad kommt Ahmed sehr fern vor. Um moderne Möbel auszuliefern und andere abzuholen, die für deren tote Besitzer einmal modern gewesen sind, fahren er und Charlie auf Excellency durch einen in der Hitze schmachtenden Morast von Pizzerias und Nagelstudios, Discountern und Tankstellen, Niederlassungen von White Castle und Blimpie, Krispy Kreme und Lovely Laundry, Midas und 877 TEETH-14 , Starlite Motel und Prime Office Suitcs, Bank of America und Metro Information Shredding, Testigos de Jehovah und New Christian Tabernacle: In schwindelerregender Vielzahl brüllen die Schilder heraus, was sie zur potenziellen Verbesserung der unzähligen Leben anzubieten haben, die dort zusammengepfercht sind, wo einst Weiden und von Wasserkraft getriebene Fabriken lagen. Die für die Ewigkeit errichteten Bauten des Gemeinsinns mit ihren mächtigen Mauern stehen noch und dienen nun als Museen, Apartmenthäuser oder städtische Behörden. Amerikanische Flaggen wehen überall, manche davon so zerfleddert
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