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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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fürchten grundsätzlich den Tod.»
    «Was ist mit den alltäglichen Freuden? Du liebst das Leben, Medizinmann, streit das doch nicht ab. Schon wie du jeden Morgen so früh zur Arbeit kommst, ganz gespannt darauf, wie unser Plan aussieht. Wir hatten auch schon ganz andere junge Kerle auf dem Laster – gar nichts haben die gesehen, alles waren ihnen egal, hinter den Augen waren sie tot. Denen kam’s nur darauf an, bei den Junkfood-Ketten anzuhalten, sich den Bauch vollzuschlagen, zu pissen und, wenn der Tag vorbei war, mit ihren Kumpeln auszugehen und sich zuzudröhnen. Du, du hast noch was in dir.»
    «Hat man mir bereits gesagt. Aber wenn ich das Leben liebe, wie du meinst, dann als ein Geschenk, das Gott mir zu geben beschlossen hat und das er mir jederzeit wieder nehmen kann.»
    «Nun dann, okay. Wie Gott will. Genieß es in der Zwischenzeit.»
    «Das tu ich.»
    «Gut so.»
    Eines Tages im Juli dirigiert ihn Charlie auf der Rückfahrt zum Laden nach Jersey City hinein, durch eine Lagerhausgegend, die von Maschendrahtzäunen, gleißenden Stacheldrahtspiralen und den rostenden Schienen aufgegebener Frachtgeleise strotzt. Sie rollen an den Glasfassaden neuer, hoher Apartmenthäuser vorüber, die anstelle alter Lagerhallen errichtet werden, zu einem Park auf einer Landzunge, von der aus man die Freiheitsstatue und das untere Manhattan sich in greifbarer Nähe erheben sieht. Als die beiden Männer auf der Aussichtsplattform aus Beton stehen – Ahmed in schwarzen Jeans, Charlie in einem geräumigen olivenfarbenen Overall und gelben Arbeitsstiefeln –, ziehen sie misstrauische Blicke von älteren christlichen Touristen auf sich. Kinder, die gerade im mit einer Kuppel überdachten Liberty Science Center gewesen sind, flitzen aus und ein und springen auf das niedrige Eisengeländer, das die Plattform zum Fluss hin schützt. Eine Brise und Schwärme von blendenden Glitzerpünktchen gleichenden Mücken drängen aus der Richtung der Upper Bay auf sie zu. Die weltberühmte Statue jenseits der Wasserfläche, kupfergrün, bietet sich aus diesem Blickwinkel ziemlich verkürzt von der Seite dar, das untere Manhattan aber schiebt sich vor wie eine prachtvoll Stachel bewehrte Schnauze. «Schön, das mal zu sehen, nachdem die Türme weg sind.» Ahmed ist von dem Anblick zu gefangen, um darauf zu reagieren. «Sie waren hässlich», stellt Charlie klar, «vollkommen unproportioniert. Sie gehörten da nicht hin.»
    Ahmed sagt: «Sogar von New Prospect aus, von der Anhöhe über den Wasserfällen, konnte man sie sehen.»
    «Halb New Jersey konnte die verdammten Dinger sehen. Eine Menge von den Leuten, die darin umgekommen sind, haben in New Jersey gewohnt.»
    «Ich hatte Mitleid mit ihnen. Besonders mit denen, die gesprungen sind. Wie furchtbar, so von Hitze umzingelt zu sein, dass es besser ist, in den sicheren Tod zu springen. Ich muss immer an das Schwindelgefühl denken, das einen befällt, wenn man hinunterblickt, bevor man springt.»
    Hastig, als zitiere er jemanden, sagt Charlie: «Die Leute dort waren im Finanzwesen tätig und haben die Interessen des amerikanischen Imperiums vertreten, das Israel unterhält und täglich Palästinenser und Tschetschenen, Afghanen und Iraker in den Tod schickt. Im Krieg darf man kein Mitleid kennen.»
    «Es waren viele Wachleute und Kellnerinnen darunter.»
    «Sie haben auf ihre Weise auch dem Imperium gedient.»
    «Einige waren Muslime.»
    «Ahmed, du musst das Ganze als Kriegsgeschehen betrachten. Im Krieg geht’s nun mal nicht säuberlich zu. Es kommt zu Kollateralschäden. Die Hessen, die George Washington im Schlaf überfallen und erschossen hat, waren sicher brave deutsche Jungen, die ihren Sold an ihre Mütter nach Hause geschickt haben. Ein Imperium saugt den unterworfenen Völkern so geschickt das Blut aus, dass sie gar nicht mehr wissen, warum sie absterben, warum sie keine Kraft besitzen. Die Feinde hier um uns herum, die Kinder und die fetten Leute in Shorts, die uns ihre schmutzigen Seitenblicke zuwerfen – hast du’s bemerkt? –, verstehen sich nicht als Mörder und Unterdrücker, sondern als unschuldige, ganz von ihrem Privatleben in Anspruch genommene Menschen. Jeder ist unschuldig – sie sind’s, die Leute, die aus den Türmen gesprungen sind, waren unschuldig, George W. Bush ist unschuldig – schlicht ein bekehrter Säufer aus Texas, der seine nette Frau und seine unartigen Töchter liebt. Und dennoch brütet diese ganze Unschuld Böses aus. Die westlichen Mächte

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