Terrorist
Ahmed die Ziffern auf den Scheinen nicht zu erkennen, doch nach der Ehrfurcht zu urteilen, mit der die Männer die Banknoten zählen und auf dem Kacheltisch sortieren, sind die Nennwerte hoch.
IV
Maurice, Charlies Onkel und Habib Chehabs Bruder, kommt selten aus Florida herauf, nur die Hitze und Feuchtigkeit von Miami im Juli und August treiben ihn für diese Monate nach Norden. Mit Unterbrechungen wohnt er dann bei Habib in Pompton Lakes und taucht gelegentlich bei Excellency auf, wo Ahmed ihn zu sehen bekommt – er gleicht seinem Bruder in vieler Hinsicht, nur dass er größer und steifer ist, ein Herr mit einem Hang zu Seersucker-Anzügen, weißen Lederschuhen und allzu offensichtlich aufeinander abgestimmten Hemden und Krawatten. Er reicht Ahmed förmlich die Hand, als sie sich zum ersten Mal begegnen, und der Junge hat das unangenehme Gefühl, von Augen taxiert zu werden, die noch goldener schimmern als die von Habib, die jedoch weniger offen sind und weniger zu amüsiertem Zwinkern neigen. Maurice ist der jüngere der beiden Brüder, stelle sich heraus, obwohl er die anmaßende Art eines älteren an sich hat. Als Einzelkind ist Ahmed von Bruderschaft fasziniert – von ihren Vor- und Nachteilen, von dem, was es bedeutet, in mancher Hinsicht einen Doppelgänger zu haben. Wäre Ahmed mit einem Bruder gesegnet, fühlte er sich vielleicht weniger allein und wäre weniger auf den Gott angewiesen, den er mit sich herumträgt, in seinem Pulsschlag und in seinen Gedanken. Wann immer Ahmed und Maurice sich im Laden sehen, nickt der stattliche, geschmeidige Mann in der hellen Garderobe ihm mit einem leichten Lächeln zu, das besagt: Ich weiß über dich Bescheid, junger Mann. Ich habe dich durchschaut.
Der kurze Blick, den Ahmed auf die Dollars werfen konnte, die er den vier Männern in dem kleinen Haus an der Küste geliefert hat, lebt in ihm fort als ein Augenblick der Teilhabe am Übernatürlichen, an jenem gcsichtslosen Unermesslichen, das gleichwohl nach seinem unergründlichen Willen in unser Leben einzugreifen geruht. Ahmed fragt sich, ob er wagen soll, Charlie seine Entdeckung zu gestehen. Hat Charlie um den Inhalt des Puffs gewusst? Wie viele andere Möbelstücke, die sie geliefert und abgeholt haben, sind in ihren Ritzen und Hohlräumen ähnlich gefüllt gewesen? Und zu welchem Zweck? Das Rätsel riecht nach den Fällen von politischer Gewalt im Ausland und von häuslicher Gewalt, die hier und da im Inland vorkommen und über die in den Zeitungen berichtet wird, von denen Ahmed allenfalls die Schlagzeilen zur Kenntnis nimmt, sowie in den abendlichen Nachrichtensendungen, die er vor dem veralteten AdmiralFernseher seiner Mutter durchzappt.
Er hat begonnen, im Fernsehen nach Spuren Gottes in dieser ungläubigen Gesellschaft zu suchen. Er sieht sich Schönheitswettbewerbe an, bei denen Mädchen mit leuchtend heller Haut und weißen Zähnen – neben einer farbigen Kandidatin oder zweien – darin wetteifern, den Zeremonienmeister mit ihren Gesangs- oder Tanztalenten zu bezaubern, wie auch mit wiederholten, freilich hastigen Dankesbekundungen an den Herm für ihre Gaben, die sie nach ihrer Zeit des Singens im Badeanzug einmal den Mitmenschen zu widmen gedenken, indem sie so hehre Berufe wie den der Ärztin, Pädagogin, Agronomin ergreifen wollen, oder den heiligsten von allen, denjenigen der Hausfrau und Mutter. Ahmed entdeckt einen besonders christlichen Kanal, in dem Männer mittleren Alters mit tiefen Stimmen auftreten, die Anzüge in ungewöhnlichen Farben mit breiten, glänzenden Revers tragen und die von ihrer leidenschaftlichen Rhetorik («Seid ihr bereit für Jesus?», fragen sie und: «Habt ihr Jesus in euer Herz aufgenommen?») auf einmal ablassen, um einen verstohlenen Flirt mit den älteren Frauen im Publikum aufzunehmen oder aber fingerschnalzend in Gesinge auszubrechen. Christlicher Gesang interessiert Ahmed, vor allem Gospelchöre in changierenden Gewändern, mit fetten schwarzen Frauen, die wogen und sich mit einer Inbrunst wiegen, die manchmal künstlich herbeigeführt wirkt, in anderen Momenten aber, beim nächsten Chorus etwa, wirklich in ihren Seelen entfacht zu werden scheint. Die Frauen erheben die Hände im Einklang mit ihren Stimmen und klatschen rhythmisch, dass auch die wenigen Weißen unter ihnen davon angesteckt werden, denn dies ist ein Bereich amerikanischer Erweckung, in welchem, wie im Sport und in der Kriminalität, fraglos dunklere Teints überwiegen. Aus Scheich Rashids
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