Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
Kapuzenpulli, hellblaue Jeans und weiße Chucks. Seit drei Wochen nimmt Kai sie jeden Freitag um sieben Uhr früh vom Hauptbahnhof Karlsruhe mit nach München. Dort bleibt sie bei ihrem Freund, Montagmorgen fährt sie nach Karlsruhe zurück. »Zur Arbeit«, wie Christine sagt.
Doch mehr erzählt seine Mitfahrerin nie. Denn meist schläft die junge Frau, die Kai auf Mitte 20 schätzt, noch auf der Südtangente Richtung Autobahn ein und wacht erst kurz vor der Ankunft am Hauptbahnhof in München wieder auf. Müsste Kai ihren Beruf raten, er würde auf medizinisch-technische Angestellte tippen. Oder technische Zeichnerin. Womit sie ihr Geld wirklich verdient, ahnt Kai bis zu diesem Freitag nicht.
Mit ihrem Kapuzenpulli und der Jeans wirkt Christine auch heute wieder unscheinbar. Aber irgendetwas ist anders. Sie lächelt unentwegt. Und schläft nicht ein, sondern kramt aus ihrer schwarzen Sporttasche auf dem Rücksitz eine Flasche Cola light heraus. Sie trinkt zwei große Schlucke und lächelt wieder. »Du pennst heute nicht sofort ein. Was ist los? Bist du gar nicht müde?«, fragt Kai. Christine grinst übers ganze Gesicht. »Nein, ich bin einfach nur richtig zufrieden.«
»Darf ich fragen, warum?« Neugierig blickt Kai seine Mitfahrerin an. Christine platzt fast vor Grinsen. »Sagen wir es mal so. Ich habe eine verdammt erfolgreiche Woche hinter mir.« Kai lässt nicht locker, als freischaffender Anwalt bohrt er gerne nach. »Und warum hattest Du so viel Erfolg?« Gespannt schaut er Christine an. Die lässt sich mit ihrer Antwort genüsslich Zeit. Sie wartet ein paar Augenblicke und sagt dann trocken. »Weil im europäischen Parlament in Straßburg Sitzungswoche war.«
»Aha«, sagt Kai. Eine Mitarbeiterin in einem Abgeordnetenbüro also, denkt er sich. Eine graues Mäuschen für alles, das passt zu ihr. Schweigend lenkt er seinen Golf V von der A5 auf die A8 in Richtung Pforzheim und überholt einen Lastwagen. Dann ordnet er sich wieder auf der rechten Spur ein. Christine beobachtet ihn die ganze Zeit und grinst. Sie merkt, dass er bei ihrem Beruf ganz und gar auf der falschen Spur ist.
Für sie ist es jetzt ein Spiel. Sie will Kai helfen, auf die richtige Fährte zu kommen, aber alles will sie ihm nicht verraten. »Bei den Abgeordneten heiße ich übrigens Regina«, sagt Christine. »Regina, die Königin.« Einen Augenblick schaut Kai durch die Windschutzscheibe, dann glotzt er seine Beifahrerin verwirrt an. Warum ändert sie im Parlament ihren Namen? Und wieso betont sie das Wort »Königin« so stark?
Kai ist überfordert, er steht auf der Leitung. Christine hat das sofort bemerkt und hilft nach. »Was könnte eine Königin wie ich denn für meine Untertanen in der schwarzen Tasche auf dem Rücksitz haben?« Kai schüttelt den Kopf. Sie öffnet den Reißverschluss der Tasche. Im Rückspiegel sieht der Fahrer die Lederriemen einer Peitsche und ein Lackmieder. Jetzt hat er verstanden. Mit großen Augen schaut er seine Beifahrerin an. Das gibt’s doch gar nicht. Unglaublich, aber wahr: Die unscheinbare Christine ist in Wahrheit eine Domina namens Regina. Und ihre Untertanen sind Abgeordnete des europäischen Parlaments. Bedröppelt nickt Kai ihr zu.
»Verstehst du jetzt, warum ich so zufrieden bin, wenn Sitzungswoche ist?«, fragt Christine und grinst. Kai nickt. Wenn das Parlament eine Woche im Monat in Straßburg tagt, dann fahren viele Abgeordnete jeden Abend von Straßburg nach Karlsruhe und vergnügen sich in dem Edel-Bordell, in dem Christine arbeitet. Und als Regina ist sie dann ihre Herrin. Ob Separatisten von der italienischen Lega Nord, französische Sozialisten oder österreichische Konservative – gemeinsam pilgern sie zur Domina. »Im Parlament beschimpfen die sich bis unter die Gürtellinie, bei mir sind sie dann kreuzbrav und lassen sich der Reihe nach auspeitschen«, erzählt Christine. Namen der Abgeordneten nennt sie nicht, ihre Untertanen bleiben anonym. Das gehört zum Geschäft. Aber einige seien schon recht bekannt.
Erstaunt hört Kai Christine zu, wie sie von ihren berühmten Kunden und deren Vorlieben erzählt. Der eine steht auf Reitgerten, der andere auf Fesseln, der dritte schaut nur gern zu. »Macht dir das denn Spaß?«, fragt Kai. Christine überlegt einen Moment, dann sagt sie bestimmt: »Privat würde ich so was nicht machen.« Sie trinkt einen Schluck Cola, dann fügt sie hinzu. »Aber ich verkloppe meine Untertanen drei Abende pro Woche, und jeder zahlt mir dafür tausend
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