Teufel - Thriller
Sachsen-Anhalt/Deutschland
P ünktlich um 17.30 Uhr standen Georg und Barbara im Schlosshof vor dem Eingang des Museums und warteten. Tschak rollte sich auf den Rücken und gähnte geräuschvoll. Er hatte ausgiebig gefressen, jetzt wollte er nur noch ein Nickerchen.
In dem Moment ging die Türe auf, und Regina Scheugert kam auf den Hof. »Hallo!«, rief sie positiv überrascht beim Anblick ihrer Wiener Gäste. »Sie sind pünktlich, das ist sehr gut. Kommen Sie mit. Ich habe die letzte Führung etwas abgekürzt, damit wir genügend Zeit haben.« Mit einem strahlenden Lächeln winkte sie den Wissenschaftler und die Nonne zu sich herein. »Ihren kleinen Freund können Sie auch mitnehmen, ich habe alles geregelt. Stubenrein ist er ja?«
»Meistens jedenfalls«, schmunzelte Sina und erinnerte sich an die peinliche Panne im Kopfnischengrab. »In der Stiftskirche wirst du dich aber benehmen, hörst du!« Er hob drohend seinen Zeigefinger und beugte sich zu dem kleinen Hirtenhund hinunter, der ihn unschuldig anschaute. Dann folgte er rasch den beiden Frauen ins Museum.
»Da hinten steht eine Aluleiter. Nehmen Sie die bitte mit!« Scheugert zeigte auf eine offene Besenkammer. Georg übergab Barbara die Hundeleine und zog die Klappleiter hervor.
»Wozu brauchen wir die?«, flüsterte die Nonne Sina stirnrunzelnd zu.
»Keine Ahnung«, antwortete Georg und zuckte mit den Achseln, »aber wenn sie meint, dann nehmen wir sie mit. Wer weiß, was uns erwartet.«
»Oder was sie mit uns vorhat«, ergänzte Barbara, kniff die Brauen zusammen und wandte sich Regina Scheugert zu. »Eine Leiter? Ist das nicht ein bisschen auffällig? Was werden die anderen Besucher sagen, wenn wir damit in die Krypta kommen?«
»Nichts«, lachte Regina und machte eine wegwerfende Handbewegung, »die Krypta ist menschenleer, ich habe sie schon abgeschlossen. Sie können also ungestört arbeiten.« Damit drehte sie sich um und bedeutete Sina und Barbara, ihr in das hohe Kirchenschiff zu folgen.
Das Langschiff von St. Servatius präsentierte sich zunächst düster, nur wenige Besucher spazierten zwischen den wuchtigen Säulen und eckigen Pfeilern der Seitenwände umher. Das spärliche Licht fiel aus schmalen Rundbogenfenstern unter der schweren, hölzernen Decke herein. Im Osten ragte eine glatte Wand auf, anstelle des gotischen Altarraums stand ein fensterloses, pseudoromanisches Gebilde aus schmucklosen Steinquadern. Himmlers Vorstellung einer romanischen Kathedrale.
Die Kirche war in zwei Ebenen geteilt. Hinter einem Altartisch führten zwei Treppen nach oben zum eigentlichen Hauptaltar und der Apsis, links und rechts eines Bogens, der den Blick in die darunter liegende Krypta freigab.
Die Kirche wirkte leer und spartanisch. Im Jahr 1936 von jedem für unnötig befundenen Zierrat befreit, war von dem ehemaligen Prunk wenig geblieben. Georg sah sich um. So hatten sie es auch in Schöngrabern gemacht, überlegte er. Reste früherer Pracht waren die romanischen Zwillingsfenster zur Westempore, die Zierleisten und Friese aus verschlungenen Fabelwesen, Drachen und Vögeln, und die Kapitelle der Pfeiler. An der Westwand entdeckte Georg zwischen den Tieren und Fratzen der steinernen Verzierungen auch Symbole, die entweder Bäume oder Jakobsmuscheln darstellen konnten.
Scheugert wartete vor einer niedrigen Türe im Seitenschiff und klimperte dezent mit einem riesigen Schlüsselbund.
Die Mauer mit den beiden Treppen zum Hochaltar wirkte abweisend wie ein Bollwerk. Georg konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Raum absichtlich so gestaltet worden war. Das einfache Volk sollte sich klein und winzig fühlen, sobald es sich im Angesicht des Allerheiligsten befand.
Die eisige Atmosphäre einer SS-Weihestätte wehte noch immer an diesem Ort, daran konnten auch die frischen Blumen und die Kerzen auf den Altären nichts ändern.
»Wie Sie ja sehen können«, erklärte Scheugert leise, als Georg zu ihr trat, »ließ Heinrich Himmler hier massive Umbauten vornehmen, als er 1936 die Stiftskirche in eine SS-Weihestätte umwidmete.« Sie zeigte nach oben zum Hochaltar. »An der Stelle des gotischen Flügelaltars standen zu Himmlers Zeit vier große Kandelaber, in die jeweils eine der vier Kardinaltugenden eingraviert worden war. Weiter vorn, an der Rückwand der Apsis, war in einem Fenster ein riesiger Parteiadler aufgestellt worden. In seinem Rücken fiel das Licht der Sonne in das Innere der Kirche und machte aus dem Symbol des Dritten Reiches
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