Teufel - Thriller
einen Schattenriss. Und von Himmler selbst erzählt man sich so einige Geschichten…«
»Nämlich?« Barbara rückte mit Tschak auf dem Arm näher.
»Ganz in Weiß soll er am Ostermorgen aus der Krypta gestiegen sein…«, raunte Regina, »so als wäre er selbst der Auferstandene. Dort hinten, aus dieser Türe im Boden soll er gekommen sein. Aus dem Nichts frühmorgens aufgetaucht, in weißen Gewändern und im Schein von Fackeln. Wie ein Spuk. Aber Sie wissen ja…« Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Für Nazi-Folklore habe ich nichts übrig. Mich interessiert eher das ottonische Erbe…«, wandte Georg ein und spähte durch die Seitentüre in die Krypta, wo er ein Gewölbe auf schlanken Säulen, rote Kapitelle und Reste von einst farbenprächtigen Malereien sehen konnte.
»Das beruhigt mich, Herr… ja, wie heißen Sie eigentlich wirklich?« Sie sah den Wissenschaftler durchdringend an.
»Was meinen Sie? Ich habe mich doch bereits vorgestellt.« Georg stellte die Leiter ab und legte seinen Kopf schief. »Ich bin Professor Wilhelm Meitner, und das ist…«
»Nein«, unterbrach sie Scheugert resolut, »Wilhelm Meitner sind Sie nicht. Der Mann auf dem Foto der Homepage der Universität Wien sieht anders aus.«
»Das ist richtig«, antwortete Sina ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn Sie die Seite weiter gelesen haben, dann wissen Sie auch, wer ich bin. Oder?«
Scheugert legte den Kopf schief und wartete.
»Ich bin Professor Georg Sina und recherchiere für ein wissenschaftliches Einzelprojekt, von dem ich nicht möchte, dass es mir jemand vor der Nase wegschnappt. Darum habe ich den Namen meines Freundes benutzt. Können Sie das nachvollziehen und es mir nachsehen?«
»Ja.« Ein zufriedenes Lächeln erschien in Scheugerts Gesicht. »Und Ihre Begleitung? Ihre Freundin?« Sie wies auf Barbara.
»Meine Assistentin, wie gesagt«, meinte Georg kurz angebunden und ergriff die Leiter. »Können wir jetzt?«
»Gern.« Scheugert nickte und sperrte auf, bevor sie dem Wissenschaftler die Tür aufhielt. »Sie werden verstehen, dass wir vorsichtig sein müssen, wem wir unsere Hilfe angedeihen lassen. Tendenzielle Artikel oder Hetzschriften der Ewiggestrigen sind nicht unsere Plattform.«
Barbara zog den Kopf ein, als sie durch den niederen Türsturz in die Unterkirche schlüpfte. »Sie können ganz unbesorgt sein, wir sind ganz sicher keine Nazis, nur Pilger auf einem Sternenweg…« Sie lächelte ein wenig säuerlich.
»Aha.« Regina schloss hinter ihnen ab. »Einen Sternenweg werden Sie hier nicht finden, dafür jede Menge starker Frauen. Hier oben auf dem Schlossberg haben die großen Ehefrauen und Herrscherinnen der ottonischen Dynastie residiert. Allen voran die legendäre Theophanu, die byzantinische Ehefrau von Otto II. und Regentin für ihren Sohn Otto III. Und einige der Damen sind zum Teil auch hier bestattet. Ihre Epitaphe sehen Sie hier an den Wänden. Nachdem Heinrich I. im Jahr 936 in Memleben gestorben war, wurde das Kloster Wendhusen bei Thale nach Quedlinburg verlegt und einer › Vereinigung gottgeweihter Jungfrauen ‹ gestiftet. Heinrich I. kam damit, so erzählt man sich, einem Wunsch seiner Frau Mathilde nach. Die Beisetzung des Königs fand auf dem Burgberg in der Pfalzkapelle der damaligen Quitilingaburg statt. Königin Mathilde leitete das Stift bis 966, und es wurde zu einem der bedeutendsten und mächtigsten Frauenstifte, die es jemals gegeben hat.«
Barbara sah sich in der niedrig gewölbten Krypta um. Die meisten der Frauen auf den Grabsteinen trugen Ordenstracht, waren zu Lebzeiten Vorsteherinnen des Nonnenklosters gewesen. In ihren ausdruckslosen, aber durchdringenden Augen fühlte sie sich nackt und bloßgestellt mit ihrem lächerlichen Pullover und den Jeans. Es tut mir leid, dachte sie, aber ich muss mich verstellen, sonst erfahre ich nie, was ich wissen muss… Dann wandte sie den Blick ab und ging auf das schwere eiserne Gitter im Boden zu.
»Auch in den Fresken werden die Legenden herausragender Frauengestalten der Bibel erzählt: Judith, Susanna und Ruth«, erklärte Scheugert und zeigte auf die einzelnen Bilder auf den Gewölbebögen.
»Auch die Marien am Grab Christi?«, erkundigte sich Sina wie beiläufig.
»Natürlich«, nickte die rundliche Frau. »Ohne sie gäbe es ja keine Frohe Botschaft, kein Osterfest. Und so auch keine Osterpfalz. Die drei Marien haben ja erst Petrus und die anderen Jünger informiert, dass
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