Teufel - Thriller
Maler. »Ich bin grauhaarig. Und doch, ja, ich bin der › blonden Bestie ‹ näher, als Sie denken. Ich habe sie verinnerlicht, wenn Sie so wollen.« Er legte theatralisch die Hand aufs Herz.
»Dann zeigen Sie mir die Bestie!«, forderte der Reporter. Ich will sehen, leg deine Karten auf den Tisch, ging es ihm durch den Kopf.
»Kommt Zeit, kommen Antworten…«, beschwichtigte Cavoretto kryptisch, zog Wagner mit sich und schlenderte auf eine der Seitenkapellen zu. »Ich spüre es deutlich, Sie sind anders als diese Knechte, sogar anders als Ihr Freund. Sie wissen, dass man sich im Leben nehmen muss, was man will. Es ist so kurz, man sollte es genießen und es nicht mit Büchern voll überkommener, verstaubter Moralphantasien vergeuden. Ich habe doch recht?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, wich Paul aus.
Cavoretto schmunzelte. »O doch, das wissen Sie nur zu genau. Sie packen den Augenblick beim Schopf, nehmen, was Sie kriegen können, und das ist auch gut so.« Er wies nach vorne. »Ich werde Ihnen noch etwas erklären, Herr Wagner. Hinter diesem Panzerglas, in einem mit Gas gefluteten Schrein liegt die größte Ikone der katholischen Kirche. Dieses Leinentuch ist keine Reliquie, es ist viel mehr: ein Abbild von Jesus Christus, eingebrannt im Moment seiner Auferstehung. Dieses Tuch ist der direkte und einzige Beweis für die versprochene Ewigkeit, für das Reich Gottes!«
Der Maler hatte beide Hände tief in den Hosentaschen versenkt. Vor der hohen Glaswand, hinter der ein Foto vom Gesicht des Erlösers auf dem Grabtuch aufgehängt war, blieb er stehen. »Es ist gleichzeitig der Gegenpol, der die aufwallenden Wogen des Chaos, das ohne Unterlass unter der dünnen Oberfläche dieser Stadt brodelt, im Zaum hält. Eine Wegscheide und die Pforte zweier Welten! Und es ist Ihre Entscheidung, in welcher Sie leben…«
Wagner lief ein Schauer über den Rücken. Auf einem roten, rechteckigen Tuch war ein goldenes Kreuz mit Dornenkrone über den Nägeln der Kreuzigung zu erkennen. Das Symbol erschien dem Reporter in diesem Moment wie eine Variation des silbernen Anhängers, den jetzt Georg bei sich trug.
»Schauen Sie sich um, Wagner«, murmelte Cavoretto und legte dem Reporter seinen Arm auf die Schultern. »Die Menschen kriechen aus aller Welt hierher, knien sich in den Staub und beten. Zu einem Tuch! Zu einem Tuch, dessen Echtheit noch nicht einmal wissenschaftlich belegt ist! Dabei handelt es sich um das meistuntersuchte Objekt der ganzen Welt!« Der Maler schüttelte völlig verständnislos den Kopf. »Ob es original ist, traut sich keiner endgültig festzustellen. Einmal widerlegt, dann doch wieder bewiesen, wie die ganze Wahrheit an sich. Ein lächerliches Auf und Ab. Und doch, für diese Leute da ist dieses, bis heute völlig unerklärliche Bild eines toten Mannes auf einem Stück Stoff ein Symbol der Hoffnung, dass sich ein allmächtiger Gott ihrer kleinen, unbedeutenden Leben persönlich annimmt.« Er schnaufte verächtlich. »Als ob ein Gott es notwendig hätte, sich mit den alltäglichen Problemen aus Kinderzimmer, Küche und Büro seiner Kreaturen auseinanderzusetzen? Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!«
»Wo soll dieser Gedankengang hinführen?«, erkundigte sich Wagner ratlos. »Das Dilemma des Tuches ist bekannt, der Rest ist Glauben.«
»Anstatt hier den vermeintlichen Gott der Liebe anzuflehen, sollten die Menschen lieber den Gewalten Respekt zollen, die tatsächliche Macht über sie haben.« Cavoretto war in Fahrt geraten. »Und sich mit dieser Macht verbünden, sie sich nutzbar machen!« Er ballte begeistert die Faust.
»Gut ist, was funktioniert?« Paul wurde dieser Mann immer unheimlicher. Die leutselige Maske bekam Sprünge, unter der etwas Unergründliches, Böses lauerte. Was Wagner unangenehm berührte, war die Komplizenschaft, die Cavoretto immer wieder anklingen ließ. »Meinen Sie mit dieser Macht etwa den Teufel? Den Herrn der Welt? Ist das der Grund für Ihre Sammlung? Wollen Sie die Grundlage schaffen, um mit Satan zu palavern, sich von ihm bessere Konditionen auszuhandeln? Planen Sie einen der berühmten Verträge, der mit Blut geschrieben wird?«
»Machen Sie sich nicht lächerlich«, wehrte der Sammler ab. »Das alte Schreckgespenst vom Gottseibeiuns ist doch längst passé… Niemand glaubt mehr an Blutverträge, und es schlachtet auch kein Mensch mehr Katzen, um den Teufel gnädig zu stimmen.« Cavoretto sah Wagner durchdringend an. »So billig gibt er es
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