Teufel - Thriller
Sinnesfreuden kam die Reue, das Niederknien und um Vergebung Beten, dachten einige Alte hämisch und bekreuzigten sich. Bestimmt trug sie bereits den Lohn für ihr gottloses Treiben unter ihrem Herzen. Ein wohliger, wollüstiger Schauer durchfuhr die alten Damen bei dem Gedanken an jugendliche Ausschweifungen und sinnliche Laster aller Arten.
Aber Schwester Barbara trug etwas gänzlich anderes auf ihrem Herzen. In den verkrampften Fingern ihrer linken Hand hielt sie eine kleine Tasche umklammert, die sie unter ihrer Regenjacke vor den Blicken Neugieriger verborgen hatte. Durch den dünnen Stoff spürte sie ganz deutlich, was sie seit Memleben darin verborgen hielt.
Es war kalt, hart und tödlich.
Wenn sie die Wahl gehabt hätte, dann wäre eine Waffe das Letzte, womit sie jemals zu tun bekommen wollte.
Doch bei der »harmlosen Sightseeing-Tour im eigenen Vorgarten« war einfach alles schiefgegangen. Warum war sie nicht bei Onkel Benjamin geblieben? Warum hatte sie unbedingt mit diesem gottlosen Wissenschaftler auf eine Reise ins Ungewisse gehen müssen? Es war ein Horrortrip in die tiefsten Abgründe gewesen, in die Welt der Ketzerei und des Unglaubens.
»Verflucht sei der Tag, an dem ich diesen Professor getroffen habe!«, flüsterte sie zwischen ihren Gebeten. »Verflucht seine verführerischen Worte, die mich zu einem › lustigen Ausflug ‹ verführt haben… Verflucht sei auch Onkel Benjamin, der mich in die Obhut dieses teuflischen Wissenschaftlers gegeben hat.«
Doch kaum hatte sie den Satz beendet, das letzte Wort ausgesprochen, durchzuckte sie ein eiskalter Schreck. Sie hatte verflucht, sogar ihren nächsten, geliebten Verwandten, wo sie doch gelobt hatte, ihre Feinde zu lieben, ihnen sieben Mal siebenfach zu verzeihen. Wieder bestrafte sie sich und bekannte ihre Schuld, doch die Bilder der Erinnerung begannen sie erneut zu quälen.
Als sie dann der Mann in Gernrode vor der Stiftskirche St. Cyriakus angesprochen, ihr die Grüße des Monsignore aus Wien übermittelt und sie schließlich mitsamt dem Hund in seinem Auto mitgenommen hatte, ja, da hatte sie für einen kurzen Moment Hoffnung gespürt. Ein Licht am Ende des Tunnels. Sie war mit einem Mal fest davon überzeugt gewesen, ihr nächtlicher Anruf aus dem Zug hätte Gutes bewirkt und ihr Martyrium wäre endlich zu Ende. Wie sehr hatte sie darauf vertraut, der Mitarbeiter der Erzdiözese würde sie endlich erlösen und heimbringen. Aber wie sehr hatte sie sich geirrt, wie sehr hatte sie sich in dem freundlichen Mann in Jeans und Pullover getäuscht.
Alles war nur noch viel schlimmer geworden.
Böses sollte mit Bösem vergolten werden! In kühlen Worten hatte er ihr im Auftrag der heiligen Mutter Kirche Unmögliches abverlangt. Dabei hatten sie seine Augen spöttisch und abschätzend angesehen.
»Das kann doch nicht Dein Plan sein, dass Du mich so auf die Probe stellen möchtest«, betete sie verzweifelt zu dem schemenhaften, bärtigen Gesicht auf dem Bild hinter der hohen Wand aus Panzerglas. Doch sie erhielt keine Antwort, da war keine Stimme, die ihr alles erklärte. Die Verbindung schien unterbrochen …
Schwester Barbara hatte sich noch nie in ihrem Leben so alleine gefühlt. Es schien ihr, als kämen die Dunkelheit und eine eisige Kälte näher gekrochen. Dämonen schlüpften aus jedem Schatten der barocken Verzierungen der Kathedrale und griffen nach ihr, ein Alb legte sich auf sie und schnürte mit unsichtbaren Fingern das Herz in ihrer Brust zu. In ihrem Kopf hörte sie bereits deutlich das Brüllen eines Löwen, der hungrig um seine Beute schlich…
Sie schluchzte laut auf. Wäre es nicht besser, mit der Kirche und einer Lüge zu leben als mit der Wahrheit, aber ohne Heimat?
Ein alter Mann, der sich neben sie gekniet hatte, reichte ihr ein besticktes Taschentuch. »Grämen Sie sich nicht, alles geht vorüber«, sprach er sie völlig unerwartet auf Deutsch an. Sein hageres, schmales Gesicht war beherrscht von einer Hakennase, die Augen darüber waren durchdringend. Ein forsches Kinn und ein energischer Zug um seinen Mund verrieten Entschlusskraft. Er sah Buchegger dünn lächelnd an und legte dabei seinen vogelartigen Kopf etwas zur Seite.
Barbara wusste nicht, woher, aber die Züge des Alten kamen ihr vertraut vor. Wo hatte sie diesen Mann schon einmal gesehen? Auf einem Porträt vielleicht, vor ewigen Zeiten?
Der große Mann stützte sich leise ächzend auf seinen Gehstock und stand mühsam auf. Er zog das Hosenbein seines
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