Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
antwortete sie im Flüsterton: »Im Ernst?«
»Im Ernst«, nickte Julia, machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Aber das ist eine andere Geschichte. Erzählen Sie mir Ihre, von Anfang an, wenn Sie möchten, oder nur von Montag.«
»Was gibt’s da groß zu erzählen?«
»Was ist Ihnen wichtig?« Julia spürte, dass Frau Kühne sich wieder zu verschließen drohte.
»Er kam zu mir, wie immer unangemeldet, aber das war zwischen uns nie ein Problem. Wissen Sie«, Frau Kühne senkte ihre Stimme, »Lutz war mein erster Freund. Wir kennen uns schon ewig. Stimmt es, was man über die erste Liebe sagt? Ich weiß es nicht.«
»Jedenfalls sollte es nicht so ablaufen, oder?«
»Hm.«
Frau Kühne zuckte unschlüssig die Achseln, nahm wieder auf dem Sofa Platz und drehte ihren Zigarettenstummel langsam auf einem kleinen Unterteller aus, auf dem bereits einige zerdrückte Filter lagen. Dann fuhr sie fort: »Ich war vielleicht zu abweisend, aber …«
»Frau Kühne!«, intervenierte Julia energisch. »Niemand hat das Recht, so etwas zu tun. Egal, wie unfreundlich man sein mag. Abweisung oder Zurückweisung hat man zu akzeptieren, auch wenn das dem starken Geschlecht nicht immer leichtzufallen scheint, aber wir leben hier schließlich nicht unter Tieren.« Nach einer kurzen Pause ergänzte sie leise: »Zumindest sollte man das gemeinhin annehmen dürfen, auch wenn ich genügend Negativbeispiele kenne.«
»Lutz ist kein schlechter Mensch«, widersprach Marion und verschränkte die Arme, »und erst recht kein Tier. Er war für mich da, als keiner es war.« Sie schluckte und verstummte abrupt.
»Aber?«
»Wie?«
»Sie betonten Ihren Satz so, als käme da eine Einschränkung in der zweiten Hälfte«, erklärte Julia und schaute ihr Gegenüber fragend an.
»Nicht übel«, lächelte Marion müde. »Können Sie Gedanken lesen?«
»Berufskrankheit. Was wollten Sie denn noch hinzufügen?«
»Ich werde Lutz weder anzeigen noch gegen ihn aussagen, so viel schon einmal vorab. Er hat mich sehr verletzt, und das nicht zum ersten Mal, aber er hat mich auch viel zu oft beschützt.«
»Hm. Vor wem?«
»Vor meinem letzten Pflegevater, vor meinem Bruder, vor der Rockerbande, suchen Sie sich jemanden aus«, lachte Marion kehlig und hob dabei ausladend die Hände.
»Moment, soll das heißen, dass all diese Menschen …«
»Nein, Blödsinn«, unterbrach Marion. »Die haben mich nicht alle gefickt, aber einige von denen hätten’s wohl gern. Mein Pflegevater hat uns verdroschen, ich bezeichne dieses versoffene Arschloch auch nur so, weil es die Amtsbezeichnung ist. Mit einer Vaterfigur hatte der in etwa so viel zu tun wie ein Fisch mit einem Fahrrad, ein besserer Vergleich fällt mir gerade nicht ein. Beim Jugendamt die Mutter vorschieben und gute Miene machen, aber zu Hause nur rumhocken und einen bei jeder Gelegenheit spüren lassen, dass man weniger wert ist als die eigene Brut. Gegen meinen Bruder konnte er irgendwann nichts mehr ausrichten, aber der hat sich dann verpisst. Matty hat mich auch nicht angetatscht, aber er hat eben auch damals nichts getan, um mich zu schützen. Erst später wieder, aber zwischendurch gab es eben schon Lutz. Wir sind zusammen abgehauen, ich hielt mich unter dem Radar, und so richtig geschert hat’s in der Familie ja auch keinen.«
»Ich habe Sie so verstanden, als hätte Herr Wehner Sie auch vor Ihrem Bruder schützen müssen«, hakte Julia nach.
»Schützen ist relativ. Matty hat mich irgendwann versucht von Lutz wegzureißen. Er hatte plötzlich eine Menge Geld, mietete diese Wohnung, drängte mich dazu, eine Ausbildung zu machen. Ich ging ins Berufsvorbereitungsjahr und quälte mich durch Sozialassistenz und Erzieherinnenausbildung. Sechs Jahre«, sie pfiff durch die geschürzten Lippen, »das war kein Zuckerschlecken. Lutz fand das sinnlos, aber Matty hielt ihn unter Kontrolle, ich glaube, er hat mir diesen Freund nie gegönnt.«
»Vielleicht hat er ihn anders gesehen als Sie?«
»Mag sein. Das Gleiche hat sich dann während des Studiums fortgesetzt. Lutz fand das alles nutzlos, wahrscheinlich, weil er selbst keine ordentliche Ausbildung hatte. Aber Matty hat in dieser Beziehung auf mich aufgepasst, nun ja«, seufzte sie, »dafür hat er es nie geschafft, sich zwischen Lutz und mich zu stellen. Egal, wie schlimm es war.« Ihr Blick wurde leer.
»Damals, der Vorfall, als Sie siebzehn waren«, begann Julia nach einigen Sekunden der Stille vorsichtig, »war das auch Herr
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