Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
überwinden. Beginnen Sie einfach mit dem, was Ihnen am wichtigsten ist. Den Rest kann ich ja immer noch erfragen.«
»Was hat Alexander Ihnen erzählt?«
»Was glauben Sie denn, was er mir erzählt haben könnte?«
Marion Kühne schien sich gegen das Unausweichliche zu wehren, ihre Gesichtsmuskeln waren angespannt, ebenso die Wirbelsäule von Hals bis Becken, und ihre Arme zuckten nervös. Endlich, Julia Durant wollte gerade ansetzen, Lutz Wehners Namen erneut zu erwähnen, gab sie ihrer Anspannung nach. Sie japste nach Luft, Tränen quollen aus ihren Augen und ergossen sich über ihre Wangen, die sich sofort wieder röteten. Keuchend und schluchzend schüttelte sie immer wieder den Kopf, vergrub das Gesicht zwischendurch in den Handflächen, und endlich – Julia hätte nicht zu sagen vermocht, wie viel Zeit vergangen war – durchlief ein erlösendes Zittern ihren Körper, der in den folgenden Sekunden kraftlos in sich zusammensackte.
Die Kommissarin sah sich verzweifelt nach der Kleenex-Box um, die bei ihrem ersten Besuch noch auf dem Tisch gestanden hatte. Schließlich entdeckte sie den Karton im Regal, stand langsam auf und huschte hinüber, während Frau Kühne ihrer Verzweiflung freien Lauf ließ. Julia musste an das Gespräch mit Alina denken. Eine solch heftige Reaktion hatte sie nicht erwartet, einen verhaltenen Ausbruch der Erleichterung vielleicht oder ein niedergeschlagenes Geständnis, aber keinen Zusammenbruch. Andererseits: Konnte man so etwas spielen? Waren Borderliner zu derart geschickter Manipulation fähig? Julia wusste es nicht.
Als sie der Frau einige Papiertücher reichte, die sie hastig aus der Öffnung gezogen hatte, blickte diese kurz auf, bedankte sich, schneuzte, erhob sich schließlich und lief ziellos im Raum hin und her. Noch immer ging ihr Atem stoßweise, Weinkrämpfe durchzuckten sie, aber ihre Tränen schienen versiegt. Julia Durant ließ sie geduldig gewähren, erst als sie hinter ihrem Rücken das Rascheln der Zigaretten und das ihr wohlbekannte Klicken eines Piezo-Feuerzeugs vernahm, entschloss sie sich, das Gespräch wieder aufzunehmen. Doch Marion Kühne war schneller.
»Er hat mich vergewaltigt.«
»Wie bitte?« Ungläubig fuhr Julia herum, ärgerte sich sogleich über ihre Reaktion, denn eigentlich hatte sie sich vorgenommen, jeder Eventualität dieser Befragung mit dem nötigen Abstand zu begegnen.
»Na, vergewaltigt. Oder wie würden Sie es nennen, wenn man Sie auf die Matratze presst und ohne zu fragen in Ihren Hintern eindringt?«
Marions Stimme hatte einen gleichgültigen Klang, der nicht zum Inhalt des Gesagten passte, manche Silben betonte sie mit einem gewissen Sarkasmus. Es schien, als wollte sie die Kommissarin provozieren. Julia musste sich eingestehen, dass sie nicht wusste, ob sie ihr glauben sollte oder nicht.
»Wer hat Ihnen das angetan?«, fragte sie daher zunächst zurückhaltend.
»Lutz, wer sonst?« Marion lachte kurz auf, ein hysterisches Gackern, dann umrundete sie das Sofa und stellte sich in Julias Sichtfeld, sog an ihrer Zigarette und pustete eine voluminöse Rauchschwade aus.
»Wann ist das passiert?«
»Vorgestern.«
»Warum haben Sie nicht … Ach nein, ignorieren Sie das bitte«, unterbrach sich Julia rasch abwinkend.
»Warum was? «, fragte Marion jedoch sofort schnippisch. »Warum ich die liebe gute Polizei nicht gerufen habe? Nein, Frau Durant, das mache ich nicht noch einmal mit.«
»Sie sprechen von dem Vorfall damals mit siebzehn, richtig?«
»Sie wissen davon?«
»Frau Kühne, wir sind Kriminalermittler. Natürlich wissen wir davon. Wir hatten nur beim letzten Mal keine Gelegenheit mehr, mit Ihnen darüber zu sprechen.«
»Hm.«
»Möchten Sie darüber sprechen?«
»Das ist Schnee von gestern. Längst vergessen.«
»Aber nicht vergeben, oder?«
»Wie?«
»Ihre Reaktion vorhin sagt mir das. Glauben Sie mir, ich kann Ihnen das sehr gut nachempfinden, solche Dinge kann man nicht einfach unverdaut in sich ruhen lassen. Das dringt immer wieder nach oben …«
»Pah! Sie können gar nichts nachempfinden«, lachte Marion bitter. »Das ist eine billige Floskel, die man immer dann verwendet, wenn man nicht weiß, was man sonst sagen soll.«
»Nein«, erwiderte Julia ruhig, aber bestimmt. »Ich meine das ganz genau so, wie ich es sage.«
Ungläubig neigte ihr Gegenüber den Kopf zur Seite und musterte die Kommissarin. Es vergingen einige Sekunden, in denen sie nicht einmal ihre Zigarette zum Mund hob, dann endlich
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