Teufelsengel
Kacke darf man nicht sagen.«
Romy antwortete nicht. Stöhnend versuchte sie, den Fuß aufzusetzen und zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.
»Hallo, Fuß!«, rief Joy kichernd. »Aufwachen!«
»Mach dich nur lustig über mich«, knurrte Romy.
»Bist du bald fertig?«, ertönte Gabriels Stimme aus der Wohnung.
»Jaaaha!«, rief Joy zurück. Sie zupfte Romy an der Jacke. »Du, Romy?«
»Was?«
Das Kribbeln ließ nach, wenigstens ein bisschen.
»Wenn ich aus dem Kindergarten komme, ist der kleine Hund dann noch hier?«
»Welcher Hund?«
»Der da draußen.« Joy deutete auf die Tür zum Hof. »Der das schöne Tuch um hat.«
»Was für ein Tuch?«
»Das mit den Sternen drauf.«
Romy humpelte zur Hintertür. Joy hatte eine blühende Fantasie. In ihrem Zimmer baumelten sprechende Spinnen von der Decke. In ihrem Schrank hauste ein verstoßener Riese. Und in ihrem Bücherregal lebte eine afrikanische Buchstabenfamilie.
Gabriel behauptete nie, es gebe diese Gestalten nicht. Und wenn einer von Joys Albträumen ihn in der Nacht weckte, warf er das jeweilige Gespenst oder Monster kurzerhand aus dem Fenster, damit seine Tochter beruhigt wieder einschlafen konnte.
Romy liebte Gabriel dafür.
Sie machte die Tür auf und betrat den Hof.
Neben einem Hund mit einem rotweißen Dreieckstuch um den Hals, der Romy aufmerksam entgegenblickte, saß ein Mädchen an die Hausmauer gelehnt, den Kopf zur Seite geneigt, das Kinn auf die Brust gesunken. Sie schlief so tief, dass sie Romys Schritte nicht hörte.
Die Temperatur lag um den Gefrierpunkt, und wenn das Mädchen sich auch in die Plane gewickelt hatte, mit der die Gartenmöbel in den Wintermonaten abgedeckt wurden, schlotterte Romy allein bei dem Gedanken daran, hier draußen auf dem eiskalten Boden zu sitzen.
Sie ging in die Hocke und hielt dem Hund die Hand hin. Er schnupperte und wedelte freundlich mit dem Schwanz.
Das Mädchen musste seine Bewegung gespürt haben, denn es hob verwirrt den Kopf.
»Hi.« Romy lächelte. »Ich bin Romy.«
Das Mädchen rappelte sich mit steifen Gliedern auf und schüttelte sich ein paar verirrte Schneeflocken von der Jacke.
»Ich will dich nicht vertreiben«, sagte Romy und erhob sich ebenfalls. »Aber du kannst erfrieren, wenn du bei dieser Kälte hier draußen schläfst.«
Das Mädchen spähte zur Tür, als wollte es abschätzen, wie groß die Chancen waren, in einem Satz an Romy vorbeizukommen und zu verschwinden. Doch aus dem Hausflur konnte man jetzt die Stimmen von Gabriel und Joy hören, die darüber stritten, warum fünfjährige Mädchen nicht selbst entscheiden durften, ob sie in den Kindergarten gehen wollten oder nicht.
»Ich heiße Pia«, sagte das Mädchen leise. »Normalerweise übernachte ich nicht draußen. Entschuldigung.«
»Schon okay.« Romy deutete mit einer Kopfbewegung nach oben. »Ich wohne unterm Dach. Willst du dich in meiner Küche ein bisschen aufwärmen? Ein Frühstück kriegst du auch, wenn du willst.«
Unschlüssig betrachtete Pia den Hund. Dann nickte sie.
Ihre Hände waren blaugefroren.
Als sie ins Haus gingen, waren Joy und ihr Vater verschwunden. Gabriels Argumente hatten sich wohl durchgesetzt.
Die Haustür war nur angelehnt. Sie schloss manchmal nicht richtig, und Romy wusste jetzt, wie das Mädchen ins Haus gekommen war. Sie drückte sie zu.
»Warum bist du denn nicht im Flur geblieben?«, fragte sie. »Da hättest du es wärmer gehabt.«
Doch dann fiel ihr Blick auf die überall abgestellten Fahrräder, über die sich der Hausbesitzer immer so aufregte. Sie ließen nur einen schmalen Pfad zum Durchgehen frei.
»Unter der Plane war es gar nicht so übel.«
Pia betrat Romys Wohnung mit hochgezogenen Schultern. Als traue sie niemandem und als wäre sie immer noch auf der Hut.
»Möchtest du duschen?«, fragte Romy.
Pia schüttelte den Kopf. Sie stand am Küchenfenster und wärmte sich die Hände an dem glucksenden Heizkörper, der dringend mal wieder entlüftet werden musste. Irgendwo in der Nähe gurrten die Tauben, und der Hund stellte sich auf die Hinterbeine und verrenkte sich den Hals nach ihnen.
Das zauberte ein kleines Lächeln auf Pias Gesicht. Sie war hübsch mit diesem Lächeln. Doch darunter lag eine Traurigkeit, die Romy beinah körperlich spüren konnte.
»Hast du Hunger?«, fragte sie. »Möchtest du etwas Warmes trinken?«
Pia nickte, und Romy setzte Teewasser auf und stellte Brot und Käse auf den Tisch. Für den Hund fand sie noch ein Ende Fleischwurst
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