Teufelsengel
schweren Schritten ging er zur Tür.
»Tue Buße und faste. Bete. Dafür ist es nie zu spät.«
Doch, dachte Pia. Dafür ist es längst zu spät.
Sie hatte das Lager im Schuppen gesehen. Den eingeritzten Kalender an der Wand. Sie hatte die Schreie gehört. Und sie sah Veros Entschlossenheit.
Dämonen.
Pia sank auf das Bett und starrte aus dem Fenster in den grauen Himmel. Eingesperrt. In einem besonderen Raum. Einem Raum für Abtrünnige. Gefährdete. Und sie würden ganz sicher einen für sie finden, der noch geeigneter war.
In einem Moment erschreckender Klarheit wusste sie, dass sie das Kloster nur als Bekehrte verlassen würde.
Oder tot.
Kapitel 16
Schmuddelbuch, Mittwoch, 19. November
Wenig Konkretes über den Dünnwalder Mord, wie er in fast allen Blättern heißt. Die Identität der jungen Frau ist noch nicht bekannt. Klar ist nur, dass sie erschossen wurde. Forstarbeiter haben die Leiche entdeckt und dieses Detail frei mütig ausgeplaudert.
Die Polizei hält sich bedeckt. Sie behauptet nach wie vor, es gebe keinen Zusammenhang zwischen den mittlerweile fünf Morden.
Die Kollegen seltsam zahm. Niemand zweifelt das an.
Niemand außer Ingo:
Unter der Bevölkerung geht die Angst um. »Und wenn doch ein verrückter Serienkiller in Köln und Umgebung sein Unwesen treibt?«, beklagt sich die Studentin Lilo K. »Dann kann jeder der Nächste sein.« Auch Frührentner Bruno G. ist nicht wohl bei diesem Gedanken. »Die Polizei, dein Freund und Helfer? Dann soll sie uns gefälligst auch schützen.« (Kölner Anzeiger, Dienstag)
Ingo, du alter Fuchs! Es gibt keine Lilo K. und keinen Bruno G. Du spielst nur dein Spiel. Lässt Andeutungen fallen und distanzierst dich von ihnen, indem du sie erfundenen Figuren unterschiebst. Lenkst alle damit ab. Dabei bist du der Wahrheit längst auf der Spur …
Ich schäme mich. Statt Entsetzen über den neuen Mord zu empfinden, habe ich vor allem Angst, dass Ingo mit seinem fantastischen Riecher und seinen Beziehungen mich um meine Story bringt …
Seit mehr als zwei Stunden irrte Bruder Arno nun schon durch den Wald. Er fror entsetzlich und sein Magen brachte ihn fast um.
Bruder Arno kämpfte mit den Gespenstern.
Immer wieder kehrte er zu der Stelle zurück.
Lief davon.
Kehrte zurück.
Er hatte Schuld auf sich geladen. Es gab keine Rettung für ihn.
Wie sie ihn angeschaut hatte. Er war dem Flehen in ihren Augen ausgewichen und hatte den Blick gesenkt.
Verzeih mir. Verzeih mir.
Gott!
Der Reif des bitterkalten Morgens hatte den Wald in glitzerndes Weiß getaucht. Vor dieser reinen Kulisse war seine Schuld noch ungeheuerlicher.
Er war verdammt. In alle Ewigkeit.
Es hatte Romy nur ein paar Anrufe gekostet, um die Waldarbeiter, die das tote Mädchen entdeckt hatten, ausfindig zu machen. Einen Zwanziger hatte sie allerdings berappen müssen, um einen von ihnen zu überreden, sie mit einem klapprigen Renault Kangoo zum Fundort zu lotsen.
Die letzten Meter gingen sie zu Fuß, und Romy, die noch ein bisschen wacklig auf den Beinen war, hatte Mühe, seinem Tempo zu folgen. Aber schließlich waren sie am Ziel.
Der Mann wies mit ausgestrecktem Arm auf den moosigen Boden.
»Da hat sie gelegen. Fast sind wir drüber gestolpert.«
Er zog seine abgetragene Kappe vom Kopf, drehte sie befangen in den Händen und setzte sie wieder auf.
»Wenn Sie mich hier nicht mehr brauchen …«
»Fahren Sie ruhig«, sagte Romy. »Ich würde mir gern Zeit lassen. Vielen Dank, dass Sie mich hergeführt haben.«
Und dann war sie allein.
Frost knisterte in der Luft. Romy schob sich den Schal über die Nase.
Déjà-vu, dachte sie.
Fast wurde es ihr zu viel.
Der platt getrampelte Grasteppich ließ keine Rückschlüsse auf das Geschehen zu. Hier war inzwischen die halbe Welt herumgelaufen.
Wer mochte das Mädchen gewesen sein? Würde ihre Identität Licht ins Dunkel der Fälle bringen?
Romy blieb eine ganze Weile stehen, wandte sich dann ab und ging langsam zum Weg zurück, als sie den Mann zwischen den Baumstämmen erblickte. Er stand ein Stück abseits und starrte zu ihr herüber.
Romys Herz begann wild zu klopfen.
Um zu ihrem Wagen zu gelangen, musste sie an ihm vorbei. Wenn sie den Weg verließ, um einen Bogen um ihn zu machen, würde er sofort erkennen, warum sie das tat.
Zeige einem potentiellen Angreifer niemals deine Angst.
Romy steckte die Hand in die Jackentasche und umklammerte ihren Schlüsselbund. Eine lächerliche Waffe, aber besser als nichts.
Der
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