Teufelsengel
einen Fluss. Am Ufer empfingen mich seltsame Gestalten. Sie hatten den Körper von Tieren und menschliche Gesichter. Es waren die maskenhaften Gesichter von Toten.
Auf einem schwarzen Hügel stand Cal, in ein Hermelincape gehüllt, die Wangen weiß wie Schnee.
»Ich spiele um mein Leben«, sagte er.
Während ich mich noch über diese Bemerkung wunderte, wurde ich wach. Ich war nass geschwitzt und sämtliche Glieder taten mir weh. Ein Schwall von Übelkeit stieg in mir hoch. Ich schaffte es gerade noch, mich aus dem Bett zu beugen, bevor ich mich heftig erbrach.
Calypso machte sich Vorwürfe. Und er sprudelte über vor Glück.
Vorwürfe machte er sich, weil er sich das ganze Wochenende nicht bei Romy gemeldet hatte. Er hatte nicht mal daran gedacht, sein Handy einzuschalten.
Glücklich war er, weil die Schauspielschule ihn angenommen hatte. Im Januar würde es losgehen. Die Zeit bis dahin musste er irgendwie überbrücken. Aber er war optimistisch. Irgendeinen Job würde er schon finden.
Er fühlte sich, als wären ihm Flügel gewachsen.
Sein Vorsprechen war phänomenal gewesen. Er hatte alles abgelegt, alles vergessen, was nicht zu seinem Text gehörte, hatte sich selbst zurückgelassen und war zu Dorian Gray geworden.
Nach dem letzten Satz hatte jemand applaudiert, verhalten, weil es eigentlich nicht üblich war. Aber Calypso hatte es gehört. Zentner waren ihm von der Seele gefallen, und für einen Moment hatte er gespürt, wie es sich anfühlte, in Einklang mit sich selbst zu sein.
Erst auf dem Weg nach Hause hatte er versucht, Romy anzurufen. Als sie das Gespräch nicht annahm, hatte sein schlechtes Gewissen ihm zugesetzt. Ein ganzes Wochenende lang nichts von sich hören zu lassen! Er hatte nicht mal seine Mailbox gecheckt (auf der kein Anruf von Romy gespeichert war).
Und das musste ausgerechnet ihm passieren, der vor Eifersucht die Wände hochging, wenn Romy zu Recherchen unterwegs war und längere Zeit nichts von sich hören ließ.
Als sie ihm aufgemacht hatte, blass, mit fiebrigen Augen und laufender Nase, zu krank, um sich mit ihm zu streiten, da war er so erleichtert gewesen, dass er am liebsten angefangen hätte zu heulen.
»Glaub bloß nicht, dass alles okay ist«, hatte sie geröchelt und war wieder ins Bett geschlüpft. »Ich bin stinksauer auf dich.«
Sie hatte die Decke bis ans Kinn gezogen und tapfer versucht, die Augen offenzuhalten, doch dann war ihr Kopf zur Seite gesunken und sie war eingenickt.
Das war gestern Abend gewesen. Helen hatte ihn keines Blickes gewürdigt. Vorwurfsvoll war sie mit ihren Pillen, Tees und feuchten Umschlägen hin und her gewieselt und hatte ihm das Gefühl vermittelt, überall im Weg zu sein.
Gegen zehn hatte sie ihn rausgeworfen.
»Romy braucht Ruhe«, hatte sie ihn angepflaumt. »Also verzieh dich bitte in dein eigenes Zimmer.«
Er hatte sich gefügt, war aber am nächsten Morgen mit frischen Brötchen wieder in Romys Wohnung erschienen und hatte Frühstück gemacht. Er hatte Eier gekocht, Apfelsinen ausgepresst und die drei letzten, noch nicht verblühten Rosen, die er aus dem Vorgarten der Nachbarn geklaut hatte, in einem Wasserglas auf den Tisch gestellt.
Romy, eingemummt in ihren dicken Bademantel, hatte ihm schniefend dabei zugesehen.
Er goss einen von Helens Tees ein.
»Darf ich dir jetzt erzählen …«
»Schieß endlich los.«
Während er von dem Workshop berichtete, kehrte ein bisschen Farbe auf Romys Wangen zurück. Ihre Augen leuchteten. Und Calypso wusste wieder, warum er dieses Mädchen so liebte.
Es sollte bloß keiner wagen, ihr wehzutun.
Vero kniete vor dem Kreuz in seinem Schlafraum. Er hatte die halbe Nacht hier auf dem kalten Fußboden verbracht. Nachdem sich die Schmerzen in seinem Körper ausgetobt hatten, spürte er seine Gelenke und seine Muskeln jetzt gar nicht mehr.
Als hätte sein Geist das Gefängnis aus Haut und Knochen verlassen.
Vero hatte um Sallys Seele gerungen. Monat um Monat, Woche um Woche, Tag um Tag.
Und sie verloren.
Er hatte nicht anders handeln können. Auch wenn es ihn zerriss.
Sally …
Er hatte seinen Leib gegeißelt. Bei offenem Fenster im ungeheizten Zimmer Buße getan.
Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.
Getrauert.
Aber er sollte keine Ruhe finden.
»Lass diesen Kelch an mir vorübergehen! Du weißt, dass ich dir mit aller Inbrunst diene, Herr. Du hast gesehen, wie ich gekämpft habe. Doch jetzt bin ich erschöpft. Auch meine Brüder sind erschöpft. Verlang nicht das
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