Teufelsengel
des Bösen …«
»IHR SOLLT MICH LOSLASSEN!«
Die Hände stießen sie zu Boden. Pressten ihr Gesicht auf die eiskalten Fliesen.
»… um mich zu reinigen und zu stärken und zur Errettung meiner unsterblichen Seele …«
Pia fing an zu schreien.
Sie schrie seine Stimme nieder.
Für einen Moment hörte sie nur ihren Schrei, doch als er verebbt war, merkte sie, dass Vero unbeirrt weitergeredet hatte. Der Schweiß brach ihr aus sämtlichen Poren. Ihr Herzschlag raste. Sie bekam keine Luft.
»… und zertrete das Haupt des Satans …«
Sie schrie. Schrie. SCHRIE.
»… der das Licht ins Dunkle verkehrt und Gottes vollkommene Schöpfung …«
Keine Luft. Es flirrte Pia vor den Augen. Blitze zuckten über ihr Gesichtsfeld. Die Zunge klebte ihr am Gaumen.
Sie hatte so laut geschrien, dass es ihr die Stimme zerbrochen hatte.
»Bitte …«
Ein heiseres Flüstern, zu mehr war sie nicht mehr imstande.
»… deshalb flehen wir in aller Demut …«
Pia zwang sich, tief einzuatmen. Und aus. Ein.
»… sende uns die himmlischen Legionen zu Hilfe, auf dass sie die Dämonen verfolgen …«
Dämonen.
Himmlische Legionen.
Jemand kicherte.
Pia bemerkte, dass sie selbst es war, die kicherte. Bestimmt bemerkte Vero es ebenfalls. Doch er zeigte es nicht.
»… und in den finstersten Abgrund schleudern. Amen.«
Amen.
Die Stille war eine Wohltat. Pia entspannte sich. Sie fühlte, wie ihr Speichel aus dem Mundwinkel rann. Tränen traten ihr in die Augen. Sie musste dringend aufs Klo.
»Bitte«, flüsterte sie. »Darf ich auf die Toilette gehen?«
Sie gaben ihr keine Antwort.
»Wer seid ihr?«, fragte Vero.
Aber er kannte die Brüder doch. Sie hießen Gunnar, Milo und Sandro. Verwirrt wartete Pia darauf, dass einer von ihnen antwortete. Erst als das nicht geschah, wurde ihr bewusst, dass Vero die Frage an andere gerichtet hatte.
Es war jedoch niemand sonst im Raum.
»Im Namen aller Heiligen befehle ich euch, mir eure Identität zu verraten!«
Pias Blase entlud sich.
Voller Scham fühlte sie die warme Nässe an ihren Beinen.
Die Hände ließen ihre Schultern los.
Jemand fluchte.
Und Pia erkannte, an wen sich Veros Fragen richteten.
Sie glaubten tatsächlich, dass Dämonen von ihr Besitz ergriffen hatten.
Das war das erste Zeichen. Der Dämon hatte Pia vollständig in seine Gewalt gebracht. Er kontrollierte ihre Körperfunktionen.
Vero lächelte zufrieden in sich hinein. Der erste Versuch, ihn zu provozieren. Das war gleichbedeutend mit dem ersten Kontakt.
Nach ihrem Toben und Schreien war Pia nun sanft wie ein Lamm. Sie kniete vor ihm, den Kopf gesenkt, ganz Demut und Ergebenheit. Doch das täuschte. Der Dämon sammelte Kräfte für seinen nächsten Angriff.
Der Dämon. Oder die Dämonen, denn mitunter rotteten sich mehrere in dem Besessenen zusammen. Weil das Böse feige war, wenn es darauf ankam. Weil es vor dem aufrechten Glauben zurückwich wie der Vampir vor der Knoblauchknolle.
Aber es war ein langer, beschwerlicher Weg bis dahin.
Vero wusste das besser als jeder andere. Er hatte schon zu oft gegen das Böse verloren. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren.
Nicht bei diesem Mädchen. Nicht bei Pia.
Er hatte den Blick des Dämons in ihren Augen gesehen. Er hatte seine Stimme aus ihrem Mund gehört. Er hatte seine teuflischen Kräfte gespürt.
»Weiche von diesem Mädchen!«, befahl er ihm. »Lass ab von ihr!«
Pia warf den Kopf zurück und starrte ihn an.
Sie riss den Mund auf.
Und der Dämon brüllte.
Der Name der Toten war Sally Jensch. Sie war einundzwanzig Jahre alt geworden. Ihre Eltern hatten sich gemeldet und ihre Leiche identifiziert.
Sie waren sehr gefasst gewesen und hatten keine Träne vergossen. Doch das musste nichts heißen. Es gab Menschen, die das Herz nicht auf der Zunge trugen, und manchmal waren Beziehungen auch so verwoben und belastet, dass es keine Tränen mehr gab.
»Unsere Tochter hat uns nur Kummer bereitet«, hatte der Vater gesagt. »Wir kamen nicht mehr mit ihr zurecht.«
Sally hatte seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr auf der Straße gelebt. Sie hatte sich nicht einsperren lassen, nicht von ihren Eltern und nicht vom Jugendamt. Immer wieder war sie von der Polizei aufgegriffen worden, immer wieder war sie ausgerissen.
Ihre Eltern wohnten in Frankfurt. Die Tochter hatte einige Zeit in Hamburg verbracht, die letzten anderthalb Jahre dann in Köln. Sie war nicht drogenabhängig gewesen. Sie hatte sich mit Almosen über Wasser gehalten und war für ein
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