Teufelsengel
Rita. »Haben Sie eine Vermutung, wovor sie sich gefürchtet haben könnte?«
Sie schüttelte den Kopf so heftig, dass Bert sich fragte, ob sie nicht selbst Angst vor etwas hatte. Oder vor jemandem. Was verständlich war, wenn man Sallys Ende bedachte.
»Ihr letzter Besuch war ein Abschied.«
Sie widmete sich jetzt dem Kaffee, schaufelte löffelweise Zucker in ihre Tasse.
»Da war ihre Haut so durchscheinend, dass man die Adern drunter erkennen konnte.«
»Ein Abschied?«
Allein vom Zuschauen fiel Bert fast ins Zuckerkoma.
»Glaubst du an ein Leben nach dem Tod, Rita? Das hat sie mich gefragt.«
Ritas Finger zitterten, als sie die Tasse anhob. Kaffee schwappte über. Sie wischte ihn mit dem Ärmel ihrer Jacke auf.
»Du weißt, dass ich an gar nichts mehr glaube, hab ich gesagt. Ich schon, hat sie geflüstert. Ich schon. Sonst ist doch alles verloren.«
Rita starrte vor sich hin, die Tasse in der Hand.
»Und dann?«, fragte Rick.
Sie beachtete ihn nicht, als sie antwortete.
»Ich habe Sally nie wieder gesehen.«
»Wie lange ist das her?«, fragte Rick. »Ihr letzter Besuch, meine ich.«
Ebenso gut hätte er sie fragen können, an welchem Tag Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden war oder wann sie zum letzten Mal eine Arztpraxis von innen gesehen hatte.
Rita lebte außerhalb der Zeit.
Sie zuckte mit den Schultern, doch ihr angespannter Gesichtsausdruck verriet, dass sie alles dafür gegeben hätte, Sallys Mörder mit präzisen Erinnerungen ans Messer zu liefern.
»Das Tattoo an ihrem Handgelenk«, gab Bert ihr die Gelegenheit, »wann hat Sally sich das zugelegt?«
Rita fixierte angestrengt einen Punkt an der Wand. Horchte in sich hinein. Dann sackte sie enttäuscht in sich zusammen.
»Tut mir … ich weiß es nicht. Irgendwann war’s da. Großes Geheimnis. Sie wollte nicht drüber reden.«
»Hat sie gebetet?«, fragte Bert.
Seine Frage überraschte sie.
»Gebetet? Sally?«
Rita lachte, doch das Lachen erstarb auf ihren Lippen.
»Sally hat keinen Cent um irgendeinen Gott gegeben. Sie hat bloß an die Ewigkeit geglaubt.«
Bert beugte sich vor. »Sind Sie sicher, Rita?«
»Sicher?«
Sie grinste abfällig.
»Sicher, mein Lieber, ist nur der Tod.«
Romy hatte Glück. Ihr Lieblingsplatz am Fenster war gerade frei geworden, und sie ließ sich zufrieden auf einen der Stühle fallen. Während sie Tasche und Laptop verstaute, sah sie sich nach Cal um.
Er war ganz in Schwarz gekleidet und hatte sich eine dunkelrote Schürze um die Hüften geschlungen. Sie reichte ihm bis zu den Knöcheln und stand ihm verdammt gut. Wäre Romy nicht bereits seine Freundin gewesen, sie hätte sich glatt in ihn verlieben können.
Auch seine Kollegin trug eine solche Schürze. Und darunter einen schwarzen Minirock und ein schwarzes T-Shirt, beides so knalleng, dass Romy sich fragte, wie sie es schaffte, sich zu bewegen, ohne sich dabei die Luft abzuschnüren.
»Bitte?«, fragte Cal von oben herab.
»Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg eben zum Propheten kommen«, sagte Romy. »Ich hätte gern einen Cappuccino und ein großes, leckeres Käsesandwich.«
Er drehte sich so schwungvoll um, dass der Luftzug Romys Wange streifte. Sie hatte vorgehabt, mit ihm zu reden, denn zu Hause ging er ihr aus dem Weg. Doch jetzt merkte sie, dass sie den falschen Ort dafür gewählt hatte.
»Sei doch nicht so«, sagte sie, als er ihr den Cappuccino hinstellte.
»Wie bin ich denn?«
Er blickte auf sie herunter. Noch nie hatte Romy sich so weit von ihm entfernt gefühlt.
»Schrecklich empfindlich und … unnahbar. Ich habe einen Job, Cal. Und dafür muss ich ab und zu unterwegs sein. Daran kann ich nichts ändern.«
Und ich will es auch nicht, dachte sie, beschloss jedoch, das für sich zu behalten.
»Du meldest dich nicht, rufst nicht zurück, wenn ich dir Nachrichten hinterlasse. Ist doch klar, dass ich mir da Sorgen mache.«
»Ich hatte kein Netz.«
Romy trank einen Schluck und verbrühte sich die Zunge. Schnell stellte sie die Tasse wieder ab.
»Außerdem hast du es gerade nötig! Wer hat denn bei seinem ach so tollen Workshop den kompletten Rest der Welt vergessen?«
»Zahlen!«
Cal eilte davon, um an einem Tisch bei der Theke zu kassieren. Romy rührte in ihrem Cappuccino und kämpfte gegen das Bedürfnis an, in Tränen auszubrechen. Sie fühlte sich auf einmal sehr allein. In ihren Gliedern regte sich das vertraute Grippefrösteln. Anscheinend war sie immer noch
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