Teufelsengel
bereitete sich vor. Er betete und hielt Einkehr, versuchte, den Lärm des Alltags abzustreifen. Doch das war gar nicht so einfach.
Bruder Arno hatte ihm gestanden, dass er an den unseligen Ort zurückgekehrt war. Dass eine junge Frau ihn dort überrascht hatte. Und dass er sie kurzerhand mitgebracht hatte.
Hierher.
Um die Verantwortung abzugeben, dachte Vero verächtlich.
Es war nicht irgendeine junge Frau. Es war eine Volontärin, die für das KölnJournal arbeitete. Eine Journalistin! Ausgerechnet!
Der Schwachkopf hatte ihr Tee serviert und sie hatte ihn getrunken.
»Sie ist Wachs in meinen Händen«, hatte Bruder Arno versichert, doch Vero hatte das Glitzern in seinen Augen bemerkt. Wer war da Wachs in wessen Händen?
Bruder Arno hatte eine enorme Wirkung auf Menschen. Selbst Vero war seinem Charisma anfangs erlegen.
Man sah diesen Mann an und glaubte ihm jedes Wort.
Führe mich, Vater. Begleite mich auf dem schweren Weg, den ich gehen muss. Lass mich stark genug sein, um deine Dienerin Pia vor dem Einfluss deines ärgsten Widersachers zu beschützen.
Wie konnte Bruder Arno nur so unbeschreiblich dumm sein und diesen Wald noch einmal betreten? Sein Versagen war unentschuldbar. Es zog einen Rattenschwanz an Reaktionen nach sich, die sie alle Kopf und Kragen kosten konnten.
Er hatte die Volontärin hierher gebracht. Er hatte ihr mit dem Tee die Drogen verabreicht. Sie hatten keine Wahl. Sie mussten das Spiel zu Ende spielen.
Es war nicht schwer, einen Menschen umzukrempeln. Ihm eine Gehirnwäsche zu verpassen und ihn gefügig zu machen.
Aber diese junge Frau war von der Presse.
Vero erhob sich. Wie sollte er Ruhe finden, wenn von allen Seiten die Probleme auf ihn einstürmten? Wie konnte er die Kräfte aktivieren, die er brauchte, um sich Satan zu stellen?
Denn das musste er tun, um Pia zu retten.
Bruder Arno würde diesmal nicht dabei sein. Er hatte nicht die Nerven. Er war ein Schwächling und zu so etwas nicht zu gebrauchen.
Sie kamen in der Dämmerung.
Sie waren zu viert, und Pia konnte ihre Gesichter nicht erkennen, weil sie sich die Kapuzen ihrer Gewänder tief in die Stirn gezogen hatten.
Ku-Klux-Klan, dachte sie und wich zurück bis an die Wand.
»Komm«, sagte Vero und streckte die Hand nach ihr aus.
Sie hatte das Gefühl zu schweben.
»Komm«, wiederholte Vero.
Seine Stimme war zärtlich und kalt.
Willenlos, dachte Pia. Ein schrecklicher Zustand.
Es war der Tee. Sie war sich inzwischen ganz sicher. Sie hatte ihn nicht mehr angerührt, doch da war es schon zu spät gewesen.
Alles war zu spät.
Sie hatte etwas gesehen, das sie nicht hätte sehen dürfen. Und sie hatte etwas gehört, das sie nicht hätte hören dürfen. Dafür würde sie jetzt bezahlen.
War es Sally gewesen, die sie hatte schreien hören? War sie es gewesen, die man im Schuppen gefangen gehalten hatte?
Sally, die so plötzlich verschwunden war.
Immer wieder hatte Pia sich diese Fragen zwischen den Fieberschüben gestellt. Dabei hatte sie die Antwort von Anfang an gekannt.
Und nun war sie an der Reihe.
Sie legte ihre Hand in Veros Hand. Sie hatte keine andere Wahl. Vielleicht konnte sie unterwegs entkommen. Irgendwie.
Gebt mir Tee, so viel ihr wollt, dachte sie. Meinen Geist könnt ihr nicht knebeln.
War das wirklich so?
Veros Hand zu berühren war schrecklich schön.
Pia stolperte und er fing sie auf. So nah. So nah.
Wohin wurde sie gebracht?
Aus den Augenwinkeln suchte sie nach Anhaltspunkten. Sie spannte jeden Muskel an, um bereit zu sein.
Doch als sie dann loslief, geschah es wie in Zeitlupe. Ihre Beine waren zu schwer, zu weich. Sie folgten ihrem Willen nicht.
Einer der Brüder lachte. Die Tränen, die Pia über die Wangen rollten, waren wie Honig, langsam und zäh.
Die Zeit blieb stehen.
Bruder Arno zeigte Romy das Kloster und den prachtvollen Park, dessen Schönheit nicht einmal der November etwas anhaben konnte. Den ganzen Tag über war es klirrend kalt gewesen, und der Raureif hatte sich gehalten. Er ließ die Bäume und Sträucher im Dämmerlicht leuchten.
Tausendundeine Nacht.
Romy schaute sich mit großen Augen um. Sie hatte in seiner Abwesenheit die ganze Kanne Tee ausgetrunken und ihre Bewegungen waren langsam geworden und ungenau. Die ganze Kanne! Das war nicht so geplant gewesen, doch nun mussten sie da durch.
Er ließ sich über die Bruderschaft aus, philosophierte über Gott, das Leben und die Ewigkeit. In den Augen des Mädchens konnte er erkennen, wie seine Leidenschaft
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