Teufelsfrucht
nach zweifacher längerer Ohnmacht leiderkeine Vorstellung mehr davon, wie spät es ist, Monsieur Wyss.«
»Natürlich, natürlich, wie unachtsam von mir. Es ist«, Wyss blickte auf seine wuchtige Schweizer Armbanduhr, »nun drei viertel elf.« Dann fügte er hinzu: »Freitag.«
Kieffer schüttelte den Kopf. »Freitagmittag haben wir zu. Erst gegen 16 Uhr kommt der Vorbereitungskoch.«
»Aber Ihr ›Deux Eglises‹ verfügt sicherlich über einen Anrufbeantworter?«
»Natürlich.«
»Dann seien Sie doch bitte so freundlich und rufen Sie in Ihrem Restaurant an. Sagen Sie, Sie hätten einen äußerst wichtigen Termin – einen familiären Notfall vielleicht? Und dass Sie in den kommenden Tagen nicht erreichbar sein werden. Und bitte machen Sie keine Dummheiten.«
»Warum sollte ich Ihnen diesen Gefallen tun?«
Aus Wyss’ Gesicht war nun alle aufgesetzte Freundlichkeit gewichen. »Sie haben es selber in der Hand, wie rasch es zu Ende geht, Kieffer. Ich persönlich halte nichts von unnötiger Gewalt. Aber wenn Sie sich unkooperativ verhalten, dann übergebe ich Sie Gilbert. Und der ist, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, ein äußerst grober Mensch.«
Kieffer spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Er griff nach seinem Telefon und öffnete die Anrufliste, dann drückte er auf den Wahlknopf. Nach einigen Sekunden sagte er: »Claudine, hier ist Xavier. Ich habe einen … einen Todesfall in der Familie und muss einige Tage weg. Werde nur schwer erreichbar sein, du bist so lange der Chef.« Dann unterbrach er das Gespräch und sah Wyss fragend an.
»Sehr gut, wenn Sie das Telefon nun bitte außerhalb der Reichweite Ihres Sessels ablegen könnten? Dort auf dem Kaminsims ist es gut.« Kieffer tat, wie ihm geheißen, und setzte sich wieder in den Ohrensessel.
»Nun, wo waren wir stehen geblieben? Ja, richtig. Diese wunderbare Frucht ist natürlich viel zu schade, um sie als Trendlebensmittel im Supermarkt zu verramschen. Und außerdem schmeckt sie, wie Ihnen ja bekannt ist, bei unsachgemäßer Zubereitung auch nicht besonders gut. Nein, mir war schnell klar, dass Hüetli diese Frucht in großem Stil selbst anbauen, weiterverarbeiten und als generischen Aromaverstärker einsetzen muss. Und so stellten wir bereits vor zwei Jahren die Catvanum-Lieferungen an unsere Partnerrestaurants ein und wiesen diese an, ihre restlichen Lagerbestände umgehend zu vernichten.«
»Wie haben Sie das begründet?«
Wyss zuckte mit den Achseln. »Wir haben Boudier und den anderen gesagt, dass es Lizenzprobleme gebe und dass jedem, der das Produkt weiterhin verwendet, durch einen unserer Konkurrenten Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe drohen.« Wyss nippte an seinem Schümli und verzog missbilligend die Mundwinkel. »Aber da haben wir die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht, wie man so schön sagt.«
»Die Köche haben ihre Anweisung ignoriert?«
»Boudier zumindest, ja. Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass ein Koch etwas, was er für unglaublich wohlschmeckend hält, nicht einfach wegwirft. Boudier besaß damals mehrere Kisten Catvanum. Vermutlich hat er sie einfach tiefgefroren und weiter damit herumexperimentiert. Und als dann Ricard auftauchte, da hat erwohl seine Chance gesehen, einen der einflussreichsten Gastrokritiker Frankreichs zu beeindrucken.«
»Was ja funktioniert hat. Agathon Ricard war begeistert.«
»Natürlich war er das. Wahrscheinlich hätte Ricard eine Jubelkritik für den Gabin geschrieben und das ›Renard‹ für den dritten Stern vorgeschlagen.«
»Aber wie haben Sie davon Wind bekommen?«
»Boudier dämmerte, dass er nun bald weitere Früchte brauchen würde. Deshalb rief er Keitel an und versuchte, ihn zu bequatschen. Er brauche Nachschub, der Preis spiele keine Rolle, irgendetwas in der Art. Keitel verständigte mich, und da klingelten bei uns natürlich die Alarmglocken. Wir waren gezwungen zu handeln, um unser Investment zu schützen.«
»Sie waren gezwungen, mehrere Menschen zu ermorden und drei Restaurants anzuzünden? Wegen einer verdammten Frucht?«
»Vielleicht hätten wir das Ganze anders lösen können, wenn Boudier kooperativer gewesen wäre. Aber er wollte unserem Werkschutz ja nicht einmal sagen, wo er das restliche Catvanum versteckt hatte. Und da kam es dann zu dieser Kettenreaktion. Als die Sache erst einmal ins Rollen gekommen war, da mussten wir auch die anderen Restaurants, die wir seinerzeit beliefert hatten, neutralisieren. Zur Sicherheit. Sie werden
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