Teufelsfrucht
zu Boden gleiten. Hambichler war viel zu schwer, als dass er ihn allein durch das halbe Schiff hätte schleppen können. Der bayrische Koch wog mindestens 100, eher 110 Kilo. Hambichlers wächserne Gesichtsfarbe hatte einen leichten Grünstich angenommen, und seine Augen waren wieder geschlossen. Aber sein Atem ging regelmäßig, und soweit Kieffer das feststellen konnte, war er auch nicht unterkühlt. Er beschloss, Hilfe zu holen.
Er schaute sich kurz um. Er befand sich in einem Aufenthaltsraum mit Pullman-Liegesesseln, in einer Ecke standen mehrere Videospielgeräte, die vor sich hin blinkten. Ansonsten war der Raum leer. Er wuchtete Hambichler in einen der Sessel und ging zur Tür. Er fand sich in einem schmalen Gang wieder, der in der Nähe des Festsaals liegen musste. Nachdem er etwas umhergelaufen war, sah er jemanden vor sich. Die Beleuchtung war gedimmt, doch er konnte einen Mann im Anzug erkennen, der sich anscheinend hierher zurückgezogen hatte, um ungestört eine Zigarette zu rauchen. Der einsame Raucher war eine imposante Erscheinung. Er hatte dem Luxemburger den Rücken zugewandt, sein breites Kreuz spannte sich unter einem zu engen Jacket. Kieffer ging auf ihn zu und sprach ihn auf Französisch an. »Guten Abend, Monsieur, können Sie mir helfen? Ein Freund von mir hatte auf dem Vorderdeck einen Schwächeanfall.«
Der Mann drehte sich um. Seine Nasenpartie war eingegipst, seine linke Hand bandagiert. Es dauerte einen winzigen Moment, bis sie einander erkannten. Dann weiteten sich die Augen des Legionärs, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze. »Du!«, schrie er. »Diesmal entkommst du mir nicht!«
Panik erfasste Kieffer. Er rannte. Rannte den schmalen Gang entlang, bis er vor sich ein Schott sah. Er hörte den Legionär von hinten näherkommen. Kieffer riss den Hebel des Schotts nach unten. Der Türgriff bewegte sich einige Zentimeter, dann blockierte er. Keuchend drückte er den Hebel erneut mit aller Kraft nach unten. Nichts.
Er griff mit der rechten Hand die Glock, zog mit der linken den Schlitten zurück, während er sich gleichzeitig umdrehte und die Waffe emporriss. Er sah den Legionär auf sich zukommen. Der Mann hatte Kopf und Oberkörper nach vorne geworfen und hielt wie ein wütender Kampfstier auf ihn zu. Bevor Kieffer die Pistole richtig in Anschlag gebracht hatte, war der Franzose schon über ihm. Er schlug nicht nach Kieffer, sondern drückte den Koch wie ein Rugbyspieler aus vollem Sprint gegen das Stahlschott. Das Letzte, was Kieffer registrierte, war ein hässliches metallisches Geräusch, als sein Kopf gegen die schwere Schiffstür krachte.
[Menü]
31
Ein pochender Schmerz weckte ihn. Seine ganze linke Gesichtshälfte schien zu glühen, und es dauerte einen Moment, bis er wusste, wo oben und wo unten war. Er lag mit angezogenen Beinen auf einer schmalen Pritsche. Es war dunkel. Von irgendwoher drang ein gedämpftes Rauschen an sein Ohr. Ihm war übel, und er hatte das Gefühl, die Liege bewege sich vor und zurück wie eine Hollywoodschaukel.
Zur Übelkeit und den Schmerzen kam die Angst. Er fühlte sich wie paralysiert, war sich sicher, dass dies seine letzten Stunden oder gar Minuten waren. Der Legionär hatte ihn in seiner Gewalt. Ihm drohte vermutlich das gleiche Ende wie Boudier. Gilbert würde ihm ein Gewicht an die Füße binden und sich seiner in irgendeinem See entledigen.
Eine Zeit lang lag er da und nahm kaum wahr, was um ihn herum vor sich ging. Doch irgendwann ließ die Panik, die ihm die Kehle zuschnürte, ein wenig nach. Nun fiel ihm auf, dass es sich bei der vermeintlichen Pritsche um die lederbezogene Rückbank eines Autos handelte. Offenbar erklomm der Wagen gerade eine Steigung,denn Kieffer konnte fühlen, wie die Schwerkraft seinen Körper gegen die Rückenlehne drückte. Er verspürte einen leichten Druck auf den Ohren, sie mussten irgendwo in den Bergen sein. Kieffer versuchte, aus einem der Seitenfenster einen Blick auf die Umgebung zu erhaschen, konnte aber nur den dunklen Nachthimmel und das vorbeihuschende Licht der Straßenlaternen erkennen.
Kieffer probierte, mit der linken Hand seine noch immer pochende Schläfe zu ertasten, doch etwas hielt seinen Arm fest. Es gab ein rasselndes, metallisches Geräusch – sein Handgelenk steckte in einer Handschelle, die am Griff der Autotür befestigt war. Er versuchte, seine Beine weiter anzuziehen. Das linke war ebenfalls angekettet.
»Na, aufgewacht?« Die Stimme kam vom Fahrersitz.
Weitere Kostenlose Bücher