Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)
dachte, Sie hätten sie gemocht?«, sagte er verlegen.
Holmes ignorierte Watsons Bemerkung, und ich beschloss, jeglichen Kommentar zu diesem Thema hinunterzuschlucken. Stattdessen reichte ich Holmes das Paket.»Ich frage mich, ob Sie mir irgendetwas über den Mann erzählen können, der dies hier trug.«
Holmes nahm das Paket und legte es auf seinen Knien ab, öffnete den Knoten und schob das Papier auseinander. Sein Blick heftete sich an die zerschnittene Kleidung, dann auf die Schuhe. Er drehte sie um und untersuchte die Sohlen.
»Mr Big Boots«, stellte er fest. »Sie haben ihn heute obduziert?«
»Ja. Er wurde vom Pförtner des Guy’s gefunden. Der Mann berichtete, er hätte ein Pferd wiehern gehört und den Knall einer Peitsche, dann ein Keuchen, vermutlich von dem Mann, den er kurz darauf vor dem Tor fand. Mit der Hilfe eines Kollegen brachte er ihn auf meine Station. Leider starb der Mann innerhalb von Minuten. Zuerst war mir nicht bewusst, dass es sich um Big Boots handelte. Ich habe ihn als Studienobjekt für meine Vorlesung benutzt. Wir konnten keine Eintrittswunde für die Tetanusinfektion finden, und ich erinnerte mich an den Mann aus Hampton. Also untersuchte ich ihn auf Fesselspuren oder Nadeleinstiche, fand aber keine. Doch selbst wenn er gefesselt worden wäre oder eine Injektion bekommen hätte, sind solche Wunden innerhalb einer Woche verheilt.«
»Aber Sie haben etwas gefunden, dass Sie mitsamt den Schuhen hergeführt hat.«
»In der Tat. Wenn er Fleisch von einem an Tetanus erkrankten Tier gegessen hätte, wäre die Infektion irgendwo in seinem Magen-Darm-Trakt gewesen – doch nichts dergleichen war der Fall. Strychnin hätte als Alternative auf der Hand gelegen, jedenfalls, bis ich auf die Tetanusinfektion stieß. Halten Sie sich fest, Mr Holmes«, sagte ich, »sie befand sich in seinem Herzen.«
»In seinem Herzen!«, rief er aus. »Wie kann sie dahin gelangt sein?«
»Ich weiß es nicht«, seufzte ich. Beunruhigende Gedanken stiegen in mir auf.
»Was beschäftigt Sie?«, wollte Holmes wissen, während Watson schweigend zuhörte und die Tatsache verdaute, dass ich eine Ärztin war, und noch dazu eine angesehene.
»Der Mann aus Hampton hatte ebenfalls keine Infektion in seinem Magen-Darm-Trakt«, erklärte ich leise. »Nun, abgesehen von Cholera. Aber keine Tetanusinfektion. Keiner der Männer scheint sich die Keime oral zugezogen zu haben. Damit nur die Toxine allein tödlich wirken, müsste man eine große Menge infizierten Fleisches essen. Etwa so viel, wie ein Mensch auf die Waage bringt, vermute ich.«
»Die linke Hirnhälfte des Hampton-Mannes haben Sie nicht seziert«, stellte Holmes fest.
»Nein.«
»Gibt es eine Möglichkeit, an diese heranzukommen?«
»Leider nein. Cholerafälle werden so bald wie möglich verbrannt. Die Leiche ist Asche, Mr Holmes. Tut mir leid.«
Der Mann neben mir rührte sich. »Würde jemand so freundlich sein und mir erklären, warum Dr. Kronberg eine Frau ist und warum Sie beide in einem Fall ermitteln, in dem ganz offensichtlich kein Verbrechen verübt wurde?«
ir kamen die nächtlichen Aktivitäten von Leichenräubern in den Sinn. Vor vielen Jahren beklagte die anatomische Forschung einen Mangel an Leichen. Medizinische Fakultäten durften nur mit Körpern gehängter Mörder beliefert werden. Folglich wurden die wenigen Leichen so häufig wiederverwendet, dass die Überbleibsel mehr als zerfleddert waren. Doch wenn es eine Nachfrage gibt, macht früher oder später jemand ein Angebot. Leichenräuber fanden schnell heraus, dass frisch begrabene Tote nachts ausgegraben und an die medizinischen Fakultäten verkauft werden konnten. Doch bald reichten auch diese Leichen – meist von alten oder kranken Menschen – nicht mehr aus …
Holmes und Watson guckten mich erwartungsvoll an. Hatte ich eine Frage verpasst?
»Watson und ich haben uns eben über die Eigentümlichkeit der nicht vorhandenen Eintrittswunde unterhalten. Watson meint, es müsse sich um eine Version von Tetanus handeln, die über die Luft übertragen wird.«
»Mhmm … das wäre eine Möglichkeit, wenn Tetanuskeime nicht streng anaerob wären. Sie sterben ab, wenn sie einen Hauch frische Luft abbekommen.«
Watson hustete und meinte: »Nun, dann müsste sie jemand injiziert haben, aber das ist unmöglich!«
»Warum glauben Sie das?«, fragte Holmes.
»Wer würde so etwas Scheußliches tun?«
Ich erhob mich und wandte mich beiden Männern zu. »Was glauben Sie, wie wir Ärzte
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