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Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Titel: Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelie Wendeberg
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so viel in so kurzer Zeit über Anatomie lernen konnten? Die Geschichte wiederholt sich, Dr. Watson. Der Mensch hat schon immer die Schwachen ausgenutzt, entweder ganz bewusst oder durch Ignoranz. Als Anatomen frische Leichen brauchten, dauerte es nicht lange, bis ihnen welche angebotenwurden. Es ist mir ein Rätsel, wie man ihren Beteuerungen glauben konnte, sie hätten nicht gewusst, dass es sich um Mordopfer handelte. Manche Ärzte haben regelrecht Bestellungen abgegeben – schwangere Frauen, Kinder, Neugeborene und deformierte Menschen. Und auch die wurden ihnen geliefert.«
    Damals wagten Obdachlose nicht mehr, nachts auf den Straßen zu schlafen. Permanent schwebten sie in Gefahr, erstickt zu werden und dann in der nächsten Anatomie-Abteilung zu landen.
    Die beiden Männer hatten schweigend zugehört. Watson hatte die Schultern hochgezogen, als wolle er so seine Ohren verschließen.
    Ich fuhr fort: »William Burke und William Hare haben in Edinburgh in einem einzigen Jahr siebzehn Menschen ermordet und alle an Dr. Robert Knox verkauft, der die Behörden davon überzeugen konnte, nichts von den Morden gewusst zu haben.«
    Holmes klackerte mit dem Ende der Pfeife gegen seine Vorderzähne.
    »Wie kann ein Arzt nicht wissen, dass er ein Mordopfer seziert?«, rief ich. »Nach dem Gerichtsurteil gegen Burke und Hare wurde 1838 vom Parlament der Anatomy Act beschlossen. Er gab den Ärzten das Recht, Leichname, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, zu obduzieren. Nennen Sie mir jemanden, Dr. Watson, der freiwillig das geliebte und verstorbene Kind, die Mutter oder den Ehemann zur Verfügung stellen würde!«
    Er erbleichte und blieb die Antwort schuldig, also gab ich sie selbst: »Niemand anderes als die Ärmsten, des Geldes willen, um die Kinder ernähren zu können oder sich selbst. Glauben Sie, die Regierung wusste nicht, was los war? Glauben Sie nicht, man hat es einfach ignoriert?Glauben Sie nicht auch, dass man das Gesetz verabschiedet hat, um das Schlachten der Armen zu legalisieren? Glauben Sie wirklich, niemand würde einem Almosenempfänger eine tödliche Krankheit injizieren, um ein Heilmittel für eben jene Krankheit zu testen? Ein nutzloses Leben weniger – ist das kein akzeptabler Preis zum Wohle der Menschheit?«
    Watson schluckte. Ich wandte mich an Holmes und fragte: »Was tun wir jetzt?«
    »Wir?«, entgegnete er leicht entsetzt. »Sie werden gar nichts tun, und ich werde nachdenken.« Mit diesen Worten steckte er seine Pfeife an und lehnte sich im Sessel zurück. Einen Augenblick später wurde Watson und mir klar, dass wir entlassen waren.
    »Es war sehr erfreulich, Sie kennengelernt zu haben, Dr. Watson«, sagte ich unten auf der Straße, als wir uns trennten.
    »Es war, gelinde gesagt, ähem … interessant, Dr. Kronberg. Darf ich Sie etwas fragen?«
    »Sicherlich.«
    »Ist Ihr Geheimnis je entdeckt worden?«
    »Ja, von Mr Holmes.«
    »Natürlich, aber ich meine, von jemand anderem?«
    »Nein. Die Menschen glauben meistens, was sie sehen.«
    Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Es war das erste Mal. Den gesamten Abend hatte er es vermieden, mir ins Gesicht zu sehen.
    »Ich habe den Eindruck, Sie fühlen sich in meiner Gegenwart unwohl, Dr. Watson. Sollte ich Sie verärgert haben, tut es mir sehr leid.«
    Er brauchte einen Augenblick, bevor er es herausbrachte, aber es schien etwas zu sein, was ihn sehr beunruhigte.

    »Er hat Interesse an Ihnen!«, sagte er gepresst, als hätte das Unaussprechliche von seinem Mund Besitz ergriffen, seine Zähne auseinandergezwängt, um durch die Lippen seiner Kontrolle zu entfliehen. Er bedauerte es umgehend.
    »Bitte, machen Sie sich keine Sorgen, Dr. Watson. Mr Holmes’ Interesse ist lediglich das eines Wissenschaftlers an seinem Studienobjekt«, sagte ich so gelassen, wie ich konnte.

Kapitel Sieben

    ine halbe Meile von meiner Wohnung entfernt verließ ich die Droschke und ging das restliche Stück des Weges zu Fuß. Was wahrscheinlich etwas leichtsinnig war in meiner Damenverkleidung, auch wenn mich die meisten Leute hier kannten.
    Die Abendsonne ließ ihre letzten Strahlen über die Dächer gleiten und hüllte die Slums in ein weicheres Licht. Die Menschen wirkten weniger schmutzig, weniger krank und weniger arm. Inmitten des roten Glühens stand ein großer, kräftiger Mann mit feuerroten Haaren, die in alle Richtungen abstanden. Der orangefarbene Hauch auf seinen Wangen und dem Kinn war eine dauerhafte Naturerscheinung, egal wie oft

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