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Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)

Titel: Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelie Wendeberg
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vom fingierten Bakteriologen und Epidemiologen Dr. Anton Kronberg zu Anna, fingierte Witwe und Krankenschwester. Ich wusste, dass der Wechsel meiner Identität ein Risiko barg, doch ich nahm es bereitwillig in Kauf. In Boston hatte ich ausschließlich als Anton gelebt, und nach drei Jahren wurde mir mein Körper fremd. Der fehlende Penis störte mich, meine Brüste wurden zu nutzlosen und hässlichen Anhängseln, die ich auch nachts verband. Nach vielen Wochen eingezwängt in die engen Bandagen bekam ich eine Brustentzündung. Hohes Fieber und Schmerzen zwangen mich in die Knie, und ich verbrachte eine Woche nackt im Bett. Danach war es mir fast unmöglich, meine weibliche Identität länger als einen Tag zu verbergen. Ich musste auch Anna sein, um mich nicht selbst zu verlieren.

    m der Vermieterin aus dem Weg zu gehen, rannte ich die knarrenden Treppenstufen zu meiner Wohnung hinauf und knallte die Tür zu, bevor sie die ihre öffnen konnte. Der Gestank im Flur erzählte von zu viel Gin und zu wenig Zeit, die Nachttöpfe zu leeren. Fast jeden Tag war ich froh, dass sie und ihr Mann keine Kinder hatten. Das Geschrei vernachlässigter Sprösslinge zusätzlich zu ihren Brüllkriegen hätte jeden Mieter in die Flucht geschlagen.
    Ich schnitt Brot und Käse auf, machte mir einen Tee und aß früh zu Abend, während ich am Fenster stand und der eigenartigen Mischung von betrunkenem Singsang, Kinderlachen, und Hundegejaul lauschte.
    Dann schnappte ich mir den Eimer und ging auf die Straße hinunter, um Wasser von der Pumpe zu holen. Zurück in meinem Zimmer schüttete ich es in die Schüssel und wusch das Öl aus meinen Haaren und den Obduktionsgeruch von meiner Haut.
    Ich sann darüber nach, was ich anziehen sollte. Das tat ich nur selten. Unschlüssig stand ich vor dem Kleiderschrank und entschied mich schließlich für etwas Damenhaftes. Das beschränkte meine Auswahl auf ein einziges Kleid. Ich zog ein Unterhemd an und schnürte das schwarze Satinkorsett, schlüpfte in einen Petticoat und zog mein bestes Kleid aus dunkelblauer Seide darüber.
    Im Spiegel sah ich eine Frau, die ich kaum wiedererkannte. Der teure Stoff ergoss sich von einer zu schmalen Taille hinunter zu den Fußgelenken, die in geschnürten Lederstiefeln steckten. Meinen schwarzen Samthut schmückte eine einzelne Rabenfeder, die im Sonnenlicht blau und lilafarben schimmerte. Schwarze Locken lugten darunter hervor, die mir fast bis zum Kinn reichten. Diese Frisur war eindeutig zu fortschrittlich, und der Betrachter hätte den Eindruck gewinnen können, ich wäre auf dem Weg zu einem dieser schrecklichen Suffragetten-Treffen.
    Aber es lag nicht nur an meinen Haaren. Alles an meinem Gesicht war seltsam. Immer forsch und entschlossen, mit ausgeprägten Augenbrauen, energischem Kinnund langer Nase wirkte ich eher wie ein Raubvogel. Als Frau sah ich zu maskulin aus, als Mann zu feminin.
    Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht blieb mir nicht mehr viel Zeit. Einen schwarzhaarigen Mann in den Dreißigern oder sogar Vierzigern, der noch nicht einmal einen Anflug von Bartwuchs hatte, gab es einfach nicht. Da ich Ende Zwanzig war, konnte ich vielleicht noch zehn Jahre mit meiner Scharade weitermachen. Aber dann müsste ich mich nach etwas anderem umsehen. Doch wie sollte ich ohne die Wissenschaft leben?
    Ich gab der Schranktür einen Tritt, schnappte mir das Paket und eine Handtasche vom Tisch und machte mich auf den Weg.
    Als ich draußen um die Ecke bog, hörte ich hinter mir das Flapp-Flapp-Flapp nackter Füße im Dreck, gedämpfte Stimmen und das Flüstern von Kindern. Sie begannen sich aufzuteilen, um mich von zwei Seiten anzugehen.
    »Hey! Seid ihr das oder ein Schwarm Kakerlaken?«, rief ich über die Schulter.
    Das Füßeplatschen hörte unvermittelt auf.
    »Anna? Bis’ du das?«, wollte eine Jungenstimme wissen.
    »Nein! Verflixt! Ich bin auf einer geheimen Mission! Ich bin als Lady verkleidet, du Idiot!«, spöttelte ich und versuchte nicht loszuprusten. Jemand kicherte, ich drehte mich um und lachte wenig damenhaft.
    »So kanns’ du nich’ rumlaufen!«, sagte Barry. Seine Besorgnis verwandelte sich unvermittelt in Entschiedenheit. »Wir beschützen dich! Wo wills’ du hin?« Er trat näher, zeigte mir ein zahnlückiges Lächeln und hielt mir seinen schmutzigen Ellenbogen entgegen.
    »Verehrte Dame?«, sagte Barry mit gestelzter Höflichkeit.
    Ich lächelte und nahm den dargebotenen Arm an. DieKinder begleiteten mich zwei Blocks bis zur nächsten

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