Teufelsgrinsen: Ein Fall für Anna Kronberg (German Edition)
er sich rasierte. Über die Köpfe der anderen hinweg lächelte er mich an. Ich erwiderte sein Lächeln. Garret O’Hare war ein gut aussehender Ire, warmherzig und auf eine charmante Art naiv. Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass die Hälfte der weiblichen Bevölkerung von St. Giles regelmäßig auf seinen Hintern schielte.
Wie viele meiner Nachbarn verdiente er seinen Lebensunterhalt, indem er alles klaute, was er zwischen die Finger bekam. All das wurde dann beim Pfandleiher verkauft. Doch im Gegensatz zu seinen Kollegen war er in seinem Fach außerordentlich begabt. Komischerweise erfüllte mich dieser Umstand gleichzeitig mit Stolz und mit Sorgen.
Wie alle anderen hier glaubte Garret, ich sei eine junge Witwe und Krankenschwester im Guy’s – Lügen, die dasFehlen eines Ehemannes erklärten und meine medizinischen Kenntnisse, wenn ich mich um Infektionen, Stichwunden, Brüche und dergleichen kümmerte. Als Gegenleistung für meine Hilfe boten mir meine Nachbarn Schutz und Freundschaft.
Immer noch lächelnd, ging er auf mich zu.
»Anna! Bist du aber hübsch!«, sagte er, blieb dann abrupt stehen und dachte nach. Sein Hirn ratterte sichtbar. »Hast du dich mit einem anderen … Kerl getroffen?«, wollte er wissen, kratzte sich am Kinn und musterte mich vom Hutband bis zur Sohle.
Ich zeigte auf seine Schuhe. »Du hast neue Stiefel.«
»Ähem … ja. Wo warst du?«
»Geht dich nichts an, Garret. Ich frage dich auch nicht, wo du all diese Sachen findest, oder?«
»Stimmt«, hustete er, sinnierte noch ein Weilchen, kam einen Schritt näher und strahlte mir ein warmes Gefühl ins Herz.
In diesem Moment, als ich auf nichts anderes achtete als sein Gesicht, schnappte er sich meine Hand – wie ein Dieb – und betrachtete ihre Zartheit in seiner großen Pranke.
»Du kannst hier nicht rumlaufen und so aussehen«, grummelte er.
»Natürlich kann ich das«, sagte ich und trat einen Schritt zurück. Er hielt meine Hand fest und folgte mir.
»Ich bring dich nach Hause«, entschied er und begleitete mich, wobei er sehr glücklich wirkte und kein weiteres Wort sprach, bis wir angekommen waren.
»Danke, Garret.« Ich drückte seine Hand und sah hinauf in sein Gesicht.
»Was machst du heute Abend?«, fragte er mit flatteriger Stimme und Vergissmeinnicht-Augen. Sein zärtlicher Gesichtsausdruck stand in schockierendem Kontrast zu seiner kraftvollen Erscheinung – ein Berg von einem Mann mit Schultern wie ein Bulle und Fäusten wie Vorschlaghämmer. Ich fragte mich immer, wie er wohl als Dieb arbeitete. Wie passte er durch schmale Fenster oder versteckte sich in engen Nischen?
»Weiß ich noch nicht«, antwortete ich.
Er umschlang meine Hüfte und zog mich zu sich heran. Ich bemerkte den frischen Duft nach Seife und verbarg mein Lächeln in seinem Hemd.
»Hast du heute Nacht schon etwas vor?«, fragte ich durch die Lücke zwischen zwei Knopflöchern.
»Denke schon«, sagte er und schob die Haustür auf.
»Garret, hast du etwa gerade mit einer Hand das Schloss geknackt, während du mit deiner Liebsten turtelst?«
»Hmm …«, summte er in meinen Hut.
Wir betraten das Zimmer. Seine Hand ruhte auf meinem Rücken, während er die Tür mit der Schuhspitze zuschob. Er machte einen Schritt vorwärts und drückte mich gegen die Wand. Trotz seiner Ungeduld blieb er zärtlich. Immerhin wog er zweimal so viel wie ich und konnte mich zerquetschen wie eine Fliege. Doch dieser Gedanke ist ihm sicher noch nie durch den Kopf gehuscht.
Garret half mir, die vielen Knöpfe meines Kleides zu öffnen. Er stieß einen Seufzer aus, als er es von dem Satinkorsett löste. Seine Finger suchten nach der geheimen Öffnung des Korsetts, und ich hörte das wilde Klopfen seines Herzens, als die Seidenbänder durch die Haken schlüpften. Erwartungsvoll lauschte ich dem Flüstern von Händen auf Stoff und dem Stakkato seines Atems auf meiner Haut, während ich seine Kleidung von ihm schälte.
Ungeduld flammte in seinen Augen auf, als er mich hochhob. Ich schlang meine Beine um seine Taille undpresste mich an sein weiches Brusthaar. In Garrets Armen konnte ich das komplizierte Geflecht aus Lügen, das ich für mich gewoben hatte, vergessen. Bei ihm war ich nur eine einfache Frau, geliebt von einem einfachen Mann.
Im kleinen Spiegel auf der anderen Seite des Raumes schimmerte die Reflexion seines breiten Rückens im Kerzenschein. Beides, Mann und Licht, bewegte sich rhythmisch. Für mich war alles an ihm zärtlich und rau zugleich.
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