Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
wäre ein halbes Dutzend Maulwürfe emsig am Arbeiten. An einer Stelle warf sie sich auf, doch anstelle der stumpfen Schnauze eines Maulwurfes schoben sich zitternde Finger ins Freie. Es hatte den Anschein, als wuchsen sie direkt aus dem Boden. Sie bewegten sich nach allen Richtungen, krallten sich schließlich in den Grund. Das schreckliche Stöhnen entstand wieder. Ein zweites Mal öffnete sich der Boden. Nur zwei Zoll vor meinen Fußspitzen grub sich die nächste Hand frei. Blitzschnell griff sie vor. Gestank verbreitete sie. Eisig kalt fühlte sie sich an, als sie über meinen Fuß tastete. Deutlich sah man, daß die Verwesung bereits begonnen hatte. Das Fleisch war schwammig und aufgedunsen.
Stärker wurden die Bewegungen unter der jetzt dünner gewordenen Oberfläche des Bodens. Die Hand ließ von mir ab und suchte nach einem anderen Halt. Ächzend und stöhnend schaufelte sich der Leichnam frei. Die Natur schien den Atem anzuhalten. Alle Geräusche verstummten. Ich erkannte schütteres Haar, von feuchter Erde verklebt. Eine kantige Stirn wurde sichtbar. Sie war grünlich verfärbt. Und weiter ging es. Mit einem Ruck schob sich der Oberkörper des Toten ins Freie. Die Augen waren geschlossen, das Gesicht ausdruckslos. Jetzt hoben sich die Lider. Die Augäpfel glühten zu mir empor. Der Mund öffnete sich bebend, einen langgezogenen Grauenslaut hervorstoßend. Aus dem Mund fiel wimmelndes Ungetier. Es machte der Leiche nichts aus.
Ein Grollen stieg aus der toten Brust. Ein weiterer Ruck. Der Grabstein kippte halb um. Noch immer war ich auf die Stelle gebannt, zu keiner Regung fähig. Edgar war nicht wiederzuerkennen. Sein Oberkörper lag nun frei. Sie hatten ihm ein einfaches Totenhemd aus Sackleinen übergezogen. An verschiedenen Stellen war der Stoff zerrissen und ließ die tödlichen Verwundungen sehen. Der Brustkorb war eingedrückt. Andere Wunden, die sich im Gesicht befanden und längst nicht mehr bluteten, verliehen Edgar die Physiognomie eines Frankensteinmonsters. Auseinanderklaffendes Fleisch schimmerte weiß. Ich drehte durch. Ein Ächzen entrang sich meiner ausgedörrten Kehle. Ich warf mich herum und ergriff die Flucht.
Mit einer wütenden Gebärde schleuderte das untote Wesen Erde um sich und verließ vollends sein Grab. „May, geliebte May!“ grollte es hinter mir und ließ mir die Haare zu Berg stehen. „Geliebte May, so warm ist dein Leib. Laß mich aus dir trinken, mich neue Kraft schöpfen, damit sie die fortschreitende Verwesung bekämpft.“
Tapsende Schritte. Ich wollte schneller laufen, kam dabei ins Stolpern und verlor den Halt. Mit einem Aufschrei fiel ich zu Boden. Es gelang mir nicht sofort, mich wieder aufzurichten. Ich wandte den Kopf. Bei der heftigen Bewegung verlor ich meine Brille. Eigentlich konnte ich dankbar dafür sein. Die hohe Gestalt, die auf mich zutorkelte, war so für mich nicht mehr klar erkennbar. Alles wirkte verschwommen. Der süßliche Verwesungsgeruch, der entfernt an schimmeligen Weichkäse erinnerte, holte mich ein und nahm mir schier den Atem. Ich kroch davon und war viel zu langsam.
Fast hatte mich die unsicher tapsende Gestalt erreicht, als es mir endlich gelang, wieder auf die Beine zu kommen. Ich warf mich vorwärts. Der Brille beraubt, konnte ich nur noch sehr wenig sehen, zumal es dunkel war. Ich schaute zum Mond empor, doch dieser hatte anscheinend sein Antlitz mit einer Wolke bedeckt, um nicht Zeuge der unvorstellbaren, grauenvollen Vorgänge werden zu müssen. Bäume, Sträucher, Büsche und Gräber huschten an mir vorüber. Mehrmals drohte ich wieder zu stürzen. Jedesmal gelang es mir gottlob, den drohenden Fall aufzuhalten.
„May!“ Die Stimme Edgars klang dumpf und furchtbar verzerrt. „May, warum wartest du nicht auf mich? Warum läßt du es nicht zu, daß ich dir nahe komme, ganz nahe? Weißt du denn nicht, wie sehr ich dich brauche?“
Die Lungen stachen, als würden sich tausend Messer hineinbohren. Meine Kräfte ließen nach. Der Absatz eines Schuhes brach ab. Ich verlor den anderen Schuh Augenblicke später. Der Kies auf dem rauhen Weg zerriß die Haut an meinen Fußsohlen. Es gelang mir nicht, das Grauen abzuschütteln, das mich unbeirrbar verfolgte, so sehr ich mich auch bemühte. Und dann immer wieder die Aufforderungen des Toten, den eine Macht beseelt hatte, die unmöglich von dieser Welt sein konnte: „May!“ Kein Keuchen, nur der verzweifelte Ruf: „May!“
Plötzlich ging es nicht mehr weiter. Der Weg endete in einer
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