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Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)

Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)

Titel: Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W.A. Hary
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schreckte mich nicht. Ich ertrug es, schaute fasziniert auf die wallenden Nebelfetzen über den Dächern des Viertels. Manche bildeten sich zu schemenhaften Gestalten, und eine von diesen wehte direkt auf mich zu.
    Ich lachte leise und registrierte dabei einen irren Unterton. Wenn ich mich jetzt der Atmosphäre zu entziehen versucht hätte, wäre das ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Der Nebelstreif wallte. Wie im Zeitraffertempo wehte er auf das offene Fenster zu, in dem ich stand. Die Kälte verstärkte sich, doch begann ich, sie nicht nur zu akzeptieren, sondern sogar zu genießen. „May!“ rief es mir zu, und ich hörte mich antworten: „Ja, Geliebter, was ist?“
    Es war deutlich die Stimme von Edgar: „May, ich habe Sehnsucht nach der Wärme deines Körpers. Vertreibe die Kälte des Todes aus meinem starren Leib. Sie quält mich und läßt meinen Geist ruhelos werden.“ Jetzt erkannte ich in dem Nebelstreif deutlich die Konturen meines Mannes. Sie schienen von innen heraus zu leuchten. Irgendwo schlug dröhnend eine Kirchturmuhr. Ich brauchte die Schläge nicht zu zählen, um zu wissen, daß sie Mitternacht ankündigten. Da waren noch andere Nebelfetzen, die sich teilweise in häßliche Fratzen zu verwandeln begannen. Jedesmal jedoch, bevor dieser Prozeß abgeschlossen war, lösten sie sich wieder auf. Schauriges Gelächter klang auf und hallte über die Dächer, die im Licht des bleichen Vollmondes wie ein Scherenschnitt wirkten. Nur die Erscheinung von Edgar blieb einigermaßen konstant, obwohl seine Formen immer wieder zerflossen.
    „Bist du unglücklich, Liebster?“ flüsterte ich ihm zu. „Kannst du nicht die ewige Ruhe erlangen?“
    Ein abgrundtiefer Seufzer, der hohl klang, wie direkt aus einem Grab kommend. „Ach, May, wenn du wüßtest, wie schrecklich das Reich der Toten sein kann. Ich rieche dein warmes Blut und wäre so gern bei dir, um neue Lebenskraft zu schöpfen.“
    Ich erbebte. Was redete Edgar da für Dinge? Ich wollte ablenken. „Warum bist du gekommen?“
    „Ich sagte schon, daß mich die Sehnsucht trieb. Bisher war der Weg zu dir allerdings versperrt. Erst als du so intensiv meine Gegenwart wünschtest, gelang es mir, die Kluft zu überwinden. Doch bin ich nicht wirklich hier bei dir. Es ist nur mein schwacher Geist, der den Rest seiner Kräfte verbraucht, um einen Dialog zu ermöglichen.“
    Ich glaubte, die grauenhafte Leidensmiene Edgars zu erkennen. Im nächsten Augenblick war der Eindruck wieder verschwunden. „Was kann ich tun, um den Zustand zu bessern, in dem du dich befindest, Liebster?“ murmelte ich. Fast befürchtete ich, zu leise zu sprechen und deshalb von ihm nicht verstanden zu werden. Dies erwies sich allerdings als unbegründet, denn Edgar schien sogar meine geheimsten Gedanken erraten zu können. Jetzt fiel mir auch auf, daß er nicht laut zu mir sprach, sondern daß seine Stimme direkt in meinem Kopf aufzuklingen schien.
    Wieder ein so abgrundtiefer Seufzer, dem die Worte folgten: „Du kannst mir wahrhaftig helfen. Gib mir deinen seelischen Beistand. Komm zu mir, um für mich bei den guten Geistern ein gutes Wort einzulegen. Sonst bleibe ich verdammt und sehne mich nach deinem warmen Fleisch und dem Leben, das ihm innewohnt.“
    Wieder diese seltsamen Formulierungen. Alles krampfte sich in mir zusammen. Mühsam würgte ich hervor: „Ich soll zu dir kommen? Jetzt auf der Stelle? Ich soll den Westfriedhof besuchen?“
    Ein leiser Schrei, der von tausenderlei Qualen erzählte und langsam verebbte. Der Wind trieb die Nebelschleier weiter über den Scherenschnitt der Dächer davon, dem Silberlicht des runden Mondes entgegen. Es gelang mir unter Aufbietung aller Kräfte, meine Augen zu schließen. Mir schwindelte. Alles begann sich um mich herum zu drehen. Der Boden kippte weg. Ein harter Aufprall, gegen den ich nichts tun konnte. Wimmernd und zitternd und schluchzend blieb ich am Boden liegen und brauchte Minuten, bis ich mich soweit von dem Erlebnis erholt hatte, daß ich in der Lage war, wieder aufzustehen. Ich knallte das Fenster zu und wankte ins Bad. Hier war die Heizung an, damit ich am Morgen beim Duschen nicht zu frieren brauchte. Es dauerte weitere Minuten, bis ich soviel Wärme auftankt hatte, daß ich mich wieder einigermaßen als Mensch fühlen konnte. Die Gedanken, die sich um eine mögliche Erkältung drehten, wurden verscheucht durch andere Gedanken, die sich mit dem eben erst Erlebten beschäftigten. Die Stimme Edgars war nicht mehr da.

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