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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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trotzdem einen guten Blick auf das Geschehen hatte.
    Die Friedhofsdiener ließen jetzt den Sarg an den Seilen nach unten in die Grube ab und der sichtlich frierende Pfarrer begann mit seiner Zeremonie. Kaltenbach beobachtete die Frau nun aus der Nähe. Sie stand unbewegt mit gesenktem Blick zwei Schritte neben der aufgehäuften Erde. Er schätzte sie auf etwa Mitte dreißig. Trotz ihres dicken Mantels sah er, dass sie schlank und hoch gewachsen war. Ihre Haltung und vor allem ihr Gesicht zeigte die eigenartige Attraktivität, die Kaltenbach so sehr mochte, auch wenn er sie höchstens durch eines seiner Gedichte würde in Worte fassen können. Ihre eigentümliche Schönheit wurde durch einige zarte Falten um Augen und Wangen noch unterstrichen. Ein dezentes Make-up versuchte mit bescheidenem Erfolg der Trauer entgegenzuwirken. Ihren Schal hatte sie von hinten so um ihre Haare geschlungen, dass nur noch das Gesicht frei blieb. Eine dunkelblonde Strähne, die sie jedoch nicht zu stören schien, war ihr über die Augen gefallen. Ihre Arme hielt sie eng umschlungen, als wolle sie sich nicht nur vor der Kälte, sondern auch vor dem Unfassbaren schützen. Der etwas ältere Mann, bei dem sie sich während des Gehens untergehakt hatte, stand dicht neben ihr. Er hatte seinen Arm um sie gelegt, während er mit der freien Hand versuchte, den Schirm über beide zu halten.
    Ebenfalls in vorderster Reihe stand ein älteres Ehepaar, anscheinend die Eltern des Verstorbenen. Auch hier hatte der Mann seinen Arm um die Frau gelegt, und Kaltenbach konnte beobachten, wie er mit leisen Worten beruhigend auf sie einsprach. Die Frau schluchzte leise vor sich hin.
    Wie eine düstere Hecke aus schwarzen Blättern umstanden die übrigen Gäste das Grab. Kaltenbach fragte sich, ob es unter ihnen Zweifler gab, die die Ursache für den Tod des jungen Mannes infrage stellten. Bestimmt hatte jeder seine eigene Meinung zu den Motiven, die ihn in der Fasnetsnacht mit seinem Freund auf den Kandelfelsen getrieben hatten. Viele würden verständnislos den Kopf schütteln, andere sogar empört sein. Manch einer wäre vielleicht selbst gerne dabei gewesen. Aber wer hatte Zweifel daran, dass es ein Unfall war? Einen Selbstmord würden gewiss all diejenigen ausschließen, denen eine solche Tat Sünde war. Ob es überhaupt jemanden gab, der ihn so gut gekannt hatte, um zu wissen, ob er zu einer solchen Tat fähig gewesen wäre?
    Und wenn alles ganz anders war? Was war, wenn der Begleiter des Toten recht hatte und doch noch jemand anderes in der Nacht auf dem Kandel war? Sofern Kaltenbach wusste, war es das Einzige, was die Ärzte bisher aus dem Unglücklichen herausbekommen hatten.
    Vielleicht gab es jemanden, der in diesem Moment unerkannt inmitten der Menge stand und allein wusste, was geschehen war.
    Ihm fiel gerade die Geschichte von Siegfried ein, warum gerade jetzt, das wusste er nicht. Als Kind war er fasziniert von den Abenteuern mit dem Drachen und der Tarnkappe, die den Helden unsichtbar machte. Er war der größte Held und nur durch eine gemeine List zu bezwingen. Als er in ihrer Kammer aufgebahrt lag, ließ seine junge Gemahlin alle an dem Toten vorbeilaufen, die mit ihm auf der verhängnisvollen Jagd gewesen waren. Nach dem Glauben der Germanen würde sich die Wunde im Angesicht des Mörders wieder öffnen und bluten.
    In seine Erinnerungen mischten sich einige halblaut gebrummte Sätze hinter seinem Rücken.
    »Schu schlimm.«
    »Jo, schlimm.«
    »Uesgrechnet der.«
    »Jo.«
    »Verschtohsch due’s?«
    »Nai, ich au nit.«
    »Der war noch so jung.«
    Kaltenbach wandte sich mit der gebotenen Unaufdringlichkeit an einen der beiden Sprecher, ein älterer Herr im Regenmantel. Er trug einen schwarzen Sonntagshut und hielt wie die meisten einen Schirm in der Hand.
    »Die arme Freundin«, raunte er ihm zu, indem er mit dem Kopf in Richtung der Frau nickte.
    Der Alte bedachte Kaltenbach mit einem grimmigen Blick. Trotzdem nahm er die Gelegenheit zum Friedhofstratsch gerne an. »Wen meinsch?«
    »Na, die da am Grab steht. Oder ist das seine Frau?« Als der Alte nicht gleich antwortete, schob er nach: »Ein bisschen älter als 20, oder?«
    »Die mit dem Schal bi sellem Ma?« Der Alte schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. »Nai, nai. Des isch die Luise.«
    Kaltenbach gab sich Mühe, trotz der lakonischen Antwort die Geduld zu behalten. Nach einer kurzen Pause, in der man nur das sanfte Nieseln des Regens und die monotone Stimme des Pfarrers hörte,

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