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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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fragte Kaltenbach vorsichtig: »Und – wer ist Luise?«
    Der Alte ging nicht darauf ein. Die Aufmerksamkeit seines Gesprächspartners wurde auf ein neues Ereignis gelenkt. Eben postierte sich die Stadtmusik um das Grab. Die Musiker, deren Altersspanne vom Schüler bis zum Rentner reichte, hatten zur Feier des Tages ihre Festtagsjacken angezogen. Der unaufhörlich vom Himmel tropfende Regen hatte ihnen schon gehörig zugesetzt. Manche hatten einen Begleiter zur Seite, der einen Schirm so hielt, dass zumindest die empfindlichen Instrumente und die Noten einigermaßen geschützt waren. Der Dirigent hielt seinen Schirm selbst und gab mit einem Stock in der anderen Hand den Takt vor.
    »Fagott hätt er gschpielt!«, hörte es Kaltenbach hinter sich raunen, als die ersten Töne des Trauermarsches erklangen.
    Die getragene Musik war gut ausgewählt, sodass sich in die Regentropfen manche Träne auf den Gesichtern der Zuhörer mischte. Auch Kaltenbach konnte sich der Feierlichkeit des Augenblicks nicht entziehen. Viele seiner Erinnerungen waren mit Musik verbunden – der erste langsame Tanz des ­16-Jährigen, als sich zu den Klängen der Moody Blues ein Mädchen ganz nah an ihn angeschmiegt hatte. Die harten Schläge damals in Berlin beim Besuch seiner ersten ›richtigen‹ Großstadtdisco hatte er im ganzen Körper gespürt. Und er erinnerte sich, wie sich der tödlich verwundete Sheriff in ›Pat Garret jagt Billy the Kid‹ zum Klang von ›Knocking on heaven’s door‹ zum Flussufer in den Sonnenuntergang schleppte. Das halbe Kino hatte geheult, sogar die Männer.
    Inzwischen waren die Musiker beim zweiten Lied angekommen, einer ruhigen Weise, die Kaltenbach an das Lied vom alten Kameraden erinnerte. Keiner war den Spielern gram, als sie sofort nach dem letzten Ton ihre Instrumente zusammenpackten und sich vor der Nässe in Sicherheit brachten.
    Von den unvermeidlichen Ansprachen, die nun folgten, beeindruckten Kaltenbach nur der Auftritt von drei Vertretern der Narrenzunft, die ein kleines, liebevoll genähtes blau-gelb-rotes Fellteufelchen am Rande des Grabes abstellten und ihre wohlmeinenden Worte in Reimform vortrugen. Als sie ihrem verstorbenen Mitglied am Ende ein herzhaftes ›Narri‹ mit auf die Reise gaben, hörte man in der Menge ein bekräftigendes ›Narro‹-Raunen, dem sich auch Kaltenbachs Rentner anschloss. Derart an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert, kommentierte er zusammen mit seinem Pendant den Rest der Zeremonie mit kurzen Sätzen, von denen Kaltenbach nicht einmal die Hälfte verstand. Immerhin erfuhr er, dass Luise die Schwester des Toten war, dass sie in Freiburg wohnte und dort ›ebbis mit Kunscht‹ machte.
    Allmählich wurde er ungeduldig. Trotz seiner warmen Zweiradkleidung spürte er die Kälte. Als sich die Frau nach den ersten Kondolierenden mit ihrem Bruder und den Eltern abwandte und langsam den Weg zurück hinunter zum Parkplatz ging, wusste er, dass es für ihn hier nichts mehr zu sehen gab. Lieber wollte er noch ein paar Schritte laufen.
    »Schu schlimm«, hörte er im Vorbeigehen.
    »Jo, schlimm.«
    »Uesgrechnet.«
    »Jo.«
    Als Kaltenbach nach einem halbstündigen Spaziergang noch einmal am Grab vorbeikam, hatten sich die Trauernden längst ins Trockene verzogen. Selbst von den üblichen Dauerfriedhofsgängern, die jede Beerdigung besuchten, um anschließend über das Geschehene, den Verstorbenen und die daraus entstehenden Folgen heftig zu diskutieren, war nichts mehr zu sehen. Als Kaltenbach einen letzten Blick auf den Sarg warf, merkte er, dass er nicht allein war. Er duckte sich hinter einem mannshohen Marmorengel, der ihm zusammen mit einem dickblättrigen Wacholderbusch ausreichend Schutz bot.
    Von hier aus konnte Kaltenbach den Mann gut beobachten. Er war hager und hoch aufgeschossen, seine Hakennase und ein stechender Blick, der unter dünnen Augenbrauen hervorsah, verliehen ihm die Gestalt eines Raubvogels. Dieser Eindruck wurde unterstrichen durch einen dünnen weiten Mantel, der sich wie ein schwarzes Federkleid im leicht aufkommenden Wind um ihn bauschte. Kaltenbach fiel auf, dass er trotz des schlechten Wetters weder eine Kopfbedeckung noch einen Schirm mit sich führte. Seine schulterlangen Haare waren völlig durchnässt und hingen in fetten Strähnen über Stirn und Wangen.
    Der Hagere sah sich nach allen Seiten um, als wolle er sich vergewissern, dass er ungestört sei. Dann trat er an den Rand des Grabes und blickte hinunter. Vorsichtig bog

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