Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Vorderseite zog sich ein feines silbernes Netzwerk aus Linien in verschiedenen Mustern, in deren Zentrum ein einfach gefasster blauer Stein saß. Die Linien bildeten mehrere Spiralen, deren Anordnung er nicht deuten konnte. Die Rückseite war bis auf ein paar dünne Kratzer glatt.
Kaltenbach überlegte, was der geheimnisvolle Fremde auf dem Friedhof damit bezweckt hatte. Ein christliches Motiv war es offensichtlich nicht. Vielleicht ein gemeinsames Erinnerungsstück an einen Freund, der unerkannt bleiben wollte? Wieder hatte er das unangenehme Gefühl, sich in etwas einzumischen, das ihn eigentlich nichts anging. War er nicht eindeutig zu weit gegangen, als er dieses Medaillon aus dem Grab einfach mitgenommen hatte?
Er sah auf die Uhr. Am besten, er ging hinüber in den ›Kristall‹ und fragte dort. Er wickelte das Stück wieder sorgfältig in das Tuch und steckte es in seine Hosentasche. Draußen empfing ihn trotz des klaren Himmels bissige Februarkälte. Er blickte kurz um sich und schlug dann seinen Kragen hoch. Mit eingezogenem Genick ging er die Treppe hinunter.
Zum Glück waren es nur wenige Schritte bis zu dem kleinen Laden. Beim Eintreten empfing ihn eine wohlige Mischung aus Wärme und Sandelholzduft. Außer ihm schien kein Kunde da zu sein. Sein Blick streifte die Vitrinen und Regale, in denen es glitzerte und funkelte. Es gab Steine in allen Farben und Formen, dazu Figürchen, Anhänger und Ringe. Pyramiden in verschiedenen Größen standen neben Engels- und Buddhafiguren.
»Hallo!«, rief er durch den Raum nach hinten. Ein zartes Mobile mit durchsichtigen hellen Steinen klirrte leise. »Ist jemand da?«
Nach einem kurzen Moment erschien eine junge Frau. Über ein paar einfache Jeans trug sie eine rosa Seidenbluse, in der sich die Schätze des Raumes zu spiegeln schienen. Sie lächelte ihn freundlich an und fragte nach seinen Wünschen.
»Ich wollte Sie etwas fragen«, begann Kaltenbach. »Ich brauche sozusagen einen fachmännischen Rat.« Noch während er es sagte, fiel ihm blitzartig ein, ob es richtig war, eine Frau als Fachmann zu titulieren. In Freiburg hätte er damit möglicherweise Schwierigkeiten bekommen.
»Worum geht es denn?« Die Frau behielt ihr Lächeln bei.
Kaltenbach holte das Tuch hervor, wickelte es auf und zeigte der Verkäuferin das Medaillon. »Können Sie mir sagen, was das ist?«
Die Frau warf einen kurzen Blick darauf. »Eine Brosche, ein Schmuckstück.« Er spürte deutlich, wie sie sich den Satz ›Etwas, was Frauen gerne tragen‹ verkniff. Sie blieb höflich.
»Aha«, sagte er. »Und – ein bisschen mehr?« Er strich mit der Kuppe seines Zeigefingers über die verzierte Oberfläche. »Das Muster zum Beispiel?«
»Darf ich?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ihm die Frau das Stück aus der Hand. Eine Weile drehte sie es hin und her und studierte die Linien. Dann drehte sie es kurz um und besah sich die Rückseite.
»Merkwürdig, es gibt keinerlei Öse, keinen Aufhänger, keine Nadel zum Befestigen.«
»Vielleicht ist es abgebrochen?«
»Könnte sein, da sind Kratzer hinten drauf.«
»Was ist mit den Linien?«
»Spiralen, drei große, die ineinander übergehen. Sehen Sie?« Kaltenbachs Blick folgte ihrer Fingerspitze, als sie über die feinen Metalldrähte entlang fuhr. »Und dazwischen sind kleinere, alle miteinander verflochten.« Sie sah ihn an. »Woher haben Sie das?«
Die Frage brachte Kaltenbach in Verlegenheit. Er zögerte einen Moment, dann murmelte er etwas von einem Geschenk einer Großtante.
»Sehen Sie, der helle Stein in der Mitte, das ist wie eine kleine Sonne, von der aus die Linien wie lebendige Strahlen außen herum laufen. Ein Sonnenrad sozusagen.« Sie legte das Stück zurück auf das Tuch auf dem Tisch. »Vom Prinzip her wie eine Swastika zum Beispiel.«
»Eine – Swastika? Was ist das?«
Die Frau lächelte. »Sie würden wahrscheinlich Hakenkreuz dazu sagen. Das Zeichen ist uralt und wird heute noch vor allem von Hindus und Buddhisten verwendet. Eigentlich überall auf der Welt.« Dann fügte sie rasch hinzu: »Außer bei uns natürlich.«
»Natürlich.« Kaltenbach spürte, wie er unruhig wurde. Die große hagere Gestalt am Grab fiel ihm wieder ein.
Die Verkäuferin sah ihm seine Überraschung an und beruhigte ihn. »Wie gesagt, vom Prinzip her. Das was sie hier haben ist eine sogenannte Triskele. Ein Sonnensymbol, hauptsächlich aus dem europäischen Raum, Sizilien zum Beispiel, Frankreich, England. Ein wirklich schönes
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