Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
der letzten Tage. Von Luise erzählte er immer noch nichts. Selbst Walter gegenüber sprach er nicht gerne über seine Gefühle.
»Ja, der Geiger«, lächelte Walter, als er von dem gestrigen Ausflug ins Colombi hörte. »Netter Kerl. Aber er spinnt ein bisschen. Dass er dir den Käse mit dem Belchendreieck erzählt, war fast zu erwarten.« Er nippte an seinem Kaffee. »Am Ende glaubt er noch selber dran.«
»Kannst du mir sagen, was es damit auf sich hat?«
Walter verzog das Gesicht. »Damit sind die Belchenberge gemeint. Die Ballons im Elsass und einer im Jura. Und unserer natürlich. Da machen manche eine Wissenschaft daraus, nur weil die im Dreieck angeordnet sind. Aber drei Punkte ergeben immer ein Dreieck, so oder so«, setzte er grummelnd hinzu. Er trank seine Tasse aus.
»Ist das alles?« Kaltenbach blieb hartnäckig.
»Dass im Frühjahr und im Herbst die Sonne hinter dem einen auf und hinter dem anderen untergeht – das sehen sogar meine Töchter. Daraus einen keltischen Kalender zu konstruieren ist ja nun wirklich esoterischer Quatsch.«
Immerhin etwas. Er würde morgen den Professor fragen.
»Und ein ›Torques‹, was ist das?«
»Schon interessanter. Die Torques hat man auf vielen Darstellungen gefunden. Ein geflochtener Metallreif, vorne offen, meist am Arm oder um den Hals getragen als ein Zeichen für Macht und Ansehen. Bei Fürsten und Priestern. Je größer und reicher der Torques, desto mächtiger sein Träger. Ich wusste gar nicht, dass Professor Oberberger so etwas hat. Echte sind selten außerhalb Irlands.«
Kaltenbach wollte eben weiter fragen, doch er musste sich zunächst um ein älteres Ehepaar kümmern, das den passenden Wein für ihre Silberhochzeit suchte. Es nahm seine Aufmerksamkeit für eine ausführliche önologische Beratung in Beschlag.
Walter verabschiedete sich, als er sah, dass es länger dauern würde. »Bis Samstag. So um halb neun.«
Über Mittag entschied sich Kaltenbach, in der ›Vielharmonie‹ hinterm Stadttor Essen zu gehen. Das Angebot auf der Speisekarte war verführerisch wie immer. Er entschied sich für Steinpilzravioli mit Salbeirahmsoße. Dazu bestellte er Rucolasalat mit Parmesan.
Die Dinge entwickelten sich, aber das Bild war noch nicht zu erkennen. Immer noch beschäftigte ihn die Frage nach dem Warum. Ein Racheakt? Streit um eine Frau? Wenn Luise recht hatte, war Peter kein Mensch, der sich andere zum Feind machte. Schon gar nicht für eine so brutale Auseinandersetzung. Der Hagere? Die Szene am Grab hatte nichts von Trauer oder Hass an sich gehabt. Es war eine Art Ritual, etwas Geschäftiges. Als ob der Unbekannte etwas zum Abschluss bringen wollte.
Luise hatte recht. Sie mussten den Unbekannten finden, der in jener Nacht mit auf dem Kandel war. Das Geheimnis um Peters Tod konnte nur er wissen. Und den Weg dorthin fand er nur über den Mann, dessen Bild er in der Tasche trug.
Für die Polizei wäre es ein Leichtes, ihn zu finden. Aber sie würden ihn auslachen. Für die Staatsmacht gab es keinen ausreichenden Grund, den Fall wieder aufzunehmen. Er musste den Mann selber finden.
Als Nachtisch genehmigte er sich eine Crème brulée und ging dann direkt zur BZ. Die Redaktionsleiterin überreichte ihm persönlich eine Plastikmappe, in der die Ausdrucke abgeheftet waren. Kaltenbach bedankte sich und bezahlte die Gebühr. Am Ausgang drehte er sich noch einmal um.
»Sagen Sie, der Grafmüller, der diese Artikel geschrieben hat, ist der noch bei Ihnen?«
»Der Adi? So viel ich weiß, wohnt der in Lörrach unten. Ich habe ihn zuletzt beim Presseball im Dezember gesehen, in Freiburg. Er wollte sich wieder nach Emmendingen versetzen lassen. Netter Kerl. Bissle wuselig.«
»Stimmt!«, grinste Kaltenbach.
Fünf Minuten später lagen die Ausdrucke auf dem Tisch in der Probierecke. Sogar Kopien der ursprünglichen Fotos waren dabei. Langsam blätterte er den Stapel durch. Die Artikel waren damals als Teil des samstäglichen Beilagenmagazins erschienen und nahmen jeweils etwa eineinhalb Seiten ein. Auf dem Foto der ersten Folge mit dem Mummelsee war noch das alte Hotel zu sehen, das vor einiger Zeit ausgebrannt war. Es gab eine Folge über den Kandel, über Wasserfälle und Heidensteine, wie es sie im Tal hinter Yach gab.
Eine weitere war dem Belchen gewidmet. Es gab dort eine Art Bruderschaft, die sich ›Wächter der Berge‹ nannten. Unter der Führung eines leibhaftigen Schamanen hatten sie sich in der Nähe von Neuenweg in einem alten Bauernhof
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