Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Vitrinen mit seltsamen Masken, Statuen, Figuren und Schmuck. In der Mitte des Raumes stand ein großer Schreibtisch, der im Gegensatz zu der übrigen Fülle wohltuend aufgeräumt aussah. Lediglich zwei aufgeschlagene Ordner, ein Notizheft und ein Notebook waren zu sehen.
Luise lief staunend die Reihe der Exponate entlang. Vor einer reich verzierten, scherenschnittartigen Marionette blieb sie stehen.
»Wayang Kulit. Balinesisches Schattentheater. 18. Jahrhundert. Wird heute noch gespielt.« Oberberger sprach mit einer angenehm hohen Stimme. Er hätte einen guten Tenor abgegeben. Er wies mit der Hand in großem Bogen um sich. »Das zwangsläufige Hobby eines Kulturethnologen. Fast schon eine Leidenschaft.«
Der Professor entschuldigte sich und verschwand hinter einer Tür. Kurz darauf kam er mit zwei Stühlen zurück.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Nach einigen Höflichkeitsfloskeln holte Kaltenbach die Triskele heraus und legte sie vor sich auf den Schreibtisch.
»Darf ich?«
Vorsichtig fasste der Professor das Schmuckstück mit den Fingern und betrachtete es von allen Seiten. Ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht. Kaltenbach schaute gespannt zu, als er ein mächtiges Vergrößerungsglas aus einer der Schubladen zog und die Gravur auf der Rückseite betrachtete.
»Ein interessantes Stück«, meinte er nach einer Weile. »Darf ich fragen, woher Sie das haben?«
Kaltenbach murmelte etwas von einem Geschenk eines Freundes aus England. »Wir wollten vor allem wissen, ob hinter der Symbolik etwas Besonderes steckt«, fügte er rasch hinzu.
Der Professor lächelte wieder. »Nun, weil die Symbolik der Triskele so einfach ist, ist sie auch am schwierigsten zu interpretieren. Ich persönlich gehe von einer universellen Dreiheit aus, wie sie in vielen alten Kulturen gelehrt und später vom Christentum übernommen wurde. Die drei Kräfte des Universums. Die Hindus beschreiben dies am besten mit Sein, Werden und Vergehen. Dieses Stück ist für sich gesehen nichts Besonderes. Das können sie für ein paar Euro in jedem Schmuckgeschäft oder Online-Shop kaufen.«
Kaltenbach dachte an den Laden in der Lammstraße.
»Aber sehen sie hier, die Rückseite.« Oberberger drehte die Triskele um und wies auf die Zeichen. »Hier wird es interessant.«
Kaltenbach räusperte sich. »Sie meinen die Runen?«
Der Professor lächelte. »Gar nicht schlecht für einen Laien.« Der Laie sah kurz zu Luise hinüber und bekam rote Ohren.
»Es handelt sich vielmehr um das sogenannte Ogham, die früheste Schrift, die wir in Europa kennen.«
»Von den Germanen?«, fragte Luise.
»Von den Kelten. Die Menschen von heute würden diese Zeichen wohl nicht als Schrift bezeichnen. Es waren magische Symbole, deren Verwendung nur wenige kannten und noch wenigeren erlaubt war.«
Der Professor fuhr vorsichtig mit den Fingerspitzen über die kaum erkennbaren Einritzungen.
»Überlieferung fand damals ausschließlich von Mund zu Mund statt. Das Aufschreiben, in diesem Fall besser gesagt das Einritzen, gab es nur bei besonderen Anlässen und diente der magischen Verstärkung des Inhalts. Dadurch wurde der Geist in die Materie gebannt, wurde sozusagen festgehalten.«
»Können Sie das lesen?«
Der Professor betrachtete erneut aufmerksam das Schmuckstück. »Ich denke schon. Wenn ich Sie um einen kleinen Moment Geduld bitten dürfte.«
Kaltenbach staunte über die ausgesuchte Höflichkeit Oberbergers. Luise war sichtlich geschmeichelt. Vielleicht sollte er sich künftig mehr anstrengen, dachte Kaltenbach. Die studentischen Flegeljahre waren vorbei.
Oberberger begann, die Linien gewissenhaft mit einem Bleistift auf ein Blatt Papier zu übertragen, das vor ihm lag.
»Ich habe gehört, Sie haben einige besondere Schmuckstücke in Ihrer Sammlung«, unterbrach ihn Kaltenbach. »Den ›Großen Torques‹ zum Beispiel.«
Oberberger blickte erstaunt auf. Dann nickte er. »Dort drüben.«
Er wies auf eine Vitrine, die in der Ecke zwischen den beiden Erkerfenstern stand und die als Einzige mit einer eigenen Beleuchtung ausgestattet war. Kaltenbach stand auf und sah sich den geheimnisvoll schimmernden Behälter aus der Nähe an. Er war etwa ein Kubikmeter groß und stand auf einem einfachen dunklen Untergestell. Das Innere war mit schwarzem Samt ausgeschlagen.
In der Mitte lag ein einfacher geflochtener Metallring von der Größe einer doppelten Handfläche. Das Licht ließ die blankpolierte Oberfläche in einem Glanz von Kupfer über Messing
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