Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
nur das nächtliche Gluckern des Elzwassers hörte, merkte er, wie sie leise schluchzte. Er legte vorsichtig den Arm um sie, doch sie reagierte nicht.
»Glaubst du, dass Peter seinen Stern gefunden hat?«
Kaltenbach betrachtete eine Weile dass Lichterfunkeln unter der Brücke.
»Manchmal glaube ich, dass nichts völlig zu Ende gehen kann. Alles verändert sich nur, kein Mensch bleibt jemals derselbe.«
Er fragte sich, ob Luise verstand, dass er sie trösten wollte. Er drückte sie etwas fester an sich und bildete sich ein, dass sie ihm ein klein wenig entgegenkam.
»Manche sagen, dass der Moment des Todes Freude bei den Engeln auslöst, denn dann wird im Himmel ein neuer Mensch geboren.«
»Es fällt mir schwer zu glauben, dass Peter nicht mehr da ist. Dabei ist es gerade drei Wochen her.« Luise drehte sich zu Kaltenbach, der seinen Arm sinken ließ.
»Versprich mir, dass du mir hilfst. Ich will, dass er seinen Frieden findet.«
Kaltenbach nickte stumm. Er spürte, wie sie seinen Kopf in beide Hände nahm und ihm einen flüchtigen Kuss auf beide Wangen gab. Dann wandte sie sich ebenso unvermittelt ab und ging los.
»Ich danke dir. Wir sollten gehen. Es wird kalt.«
Auf der anderen Seite des Jünglingssteges bogen sie nach rechts. Von Weitem sahen sie Licht im Haus des Professors. Bevor sie das Haus erreichten, wurde die Haustür geöffnet. Heller Lichtschein fiel aus dem Flur auf den Gartenweg. Ein Mann trat heraus, der mit lauter Stimme etwas rief, was Kaltenbach nicht verstand. Kurz darauf sah er den Professor in der Tür. Der Besucher hob die Faust und drohte, doch gleich darauf schloss Oberberger die Haustür.
Kaltenbach hielt Luise am Arm. »Warte«, raunte er, »ich will sehen, was da los ist.« Aus sicherem Abstand beobachteten sie, wie der Besucher die Straße hinunterlief. Er stieg in einen parkenden Geländewagen und gab Gas. Im Licht der Straßenlaterne konnte Kaltenbach flüchtig einen Aufdruck an der Fahrertür erkennen. Es war jedoch der Mann hinterm Steuer, der seine Aufmerksamkeit fesselte. Obwohl er etwas anderes anhatte, erkannte er sofort den Mann, dessen Bild er auf dem Zeitungsausschnitt gesehen hatte und der sich selbst ›Wächter der Berge‹ nannte.
Jetzt war es endgültig an der Zeit, dass er den Rand des Puzzlebildes festlegte.
Freitag, 9. März
»… und wenn eines Tages einer kommt und den Stein herauszieht, wird sich der See aus dem Innern des Kandel vom Berg herab über Wald und Fels, über Wiesen, Felder und Wege ins Tal ergießen. Und es wird das ganze Tal sein voller Fluten, und der Flecken Waldkirch mit all seinen Männern, Frauen, Mägden und Knechten, mit Kühen, Ziegen und Schweinen, mit Stall und Hof wird überschwemmt werden und elendiglich zugrunde gehen.«
Kaltenbach saß auf seinem Lieblingsplatz im Laden, vor sich einen großer Becher Kaffee mit geschäumter Milch, in der Hand ein Croissant. Die Mappe mit den Zeitungsartikeln hatte er fast durchgelesen. Es war erstaunlich, was in seiner Heimat alles herumspukte, geisterte, wogte, sich verbarg, wachte oder lauerte. Da war von ruhelosen Wegelagerern die Rede, die unvorsichtigen Wanderern auflauerten, von pferdefüßigen Bockgestalten, die sich über unschuldige Jungfrauen hermachten, geheimnisvollen Grüngekleideten, die unschuldige Knaben zu sich lockten und erst als uralte Männer wieder freigaben.
Auf den Burgen wimmelte es nur so von klagenden Weibern, verwunschenen Burgfräulein und verblichenen Edelherren. Dazu kam als ständige Bedrohung der geheimnisvolle See im Kandel, der lediglich von einem einfachen Stein mit einem angeschweißten Ring verschlossen war. Rings um den Kandel, durch Glotter- und Elztal, von Denzlingen bis hoch nach Prechtal und St. Peter wurden die merkwürdigsten, unheimlichsten und angsteinflößendsten Gestalten beschrieben.
Außer auf dem Kandelgipfel selbst. Der Berg war den Menschen anscheinend so unheimlich und geheimnisvoll, dass sich keiner getraute, seine Ahnungen und Ängste in Worte zu fassen. Denn der Kandel war angeblich der Platz für die Hexen, die dort in den Vollmondnächten ihre Zusammenkünfte abhielten und zu bestimmten Zeiten des Jahres sogar den Leibhaftigen selbst zu Gast hatten und mit ihm und seinen Unterteufeln buhlten. Lange vergangener Aberglaube aus finsteren Zeiten? Vor kaum drei Wochen bei den traditionellen Umzügen der Hästräger und Larven in Emmendingen und im Elztal waren sie lebendig, die Hexen und Teufel, die Geister und Nachtgestalten,
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