Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
abgerissener Fetzen Papier herausschaute. Rasch sah er auf dem Tisch nach. Die Belchendreieck-Karte war verschwunden. Lediglich an der linken unteren Ecke hing noch ein Fetzen desselben Papiers, das der Tote in seiner Faust festhielt, dazu ein abgerissener bunter Rest der Karte. Kaltenbachs Herz begann zu hämmern. Bei dem Überfall war außer dem Torques also auch die Karte gestohlen worden!
Kaltenbach spürte, wie ihn plötzlich ein leichter Schwindel überfiel. Er trat ein paar Schritte zurück und ließ sich auf das Sofa fallen. In diesen Minuten war er froh, dass Luise nicht mit hergekommen war.
Das Läuten an der Haustür brachte ihn wieder zu sich. Plötzlich kam ihm eine Idee. Ohne über die Folgen seines Handelns nachzudenken, stand er auf und ging noch einmal zu dem Zeichentisch. Vorsichtig zupfte er die beiden Papierstückchen von den Reißnägeln ab und löste dann die Unterlage von ihrer Befestigung. Hastig faltete er das etwa tischtuchgroße Papier und steckte es zusammen mit den beiden Papierfetzen in seine Jackentasche. Vielleicht fand er zu Hause noch irgendwelche Hinweise. Ob die Polizei einen Zusammenhang mit Peters Tod herstellen würde, war sowieso mehr als fraglich. Zumal ein Indiz wie Notizen über keltische Esoterik für einen Mordkommissar eher zum Bereich Fantastik gehören würde.
Vom Eingang her hörte er erneutes Läuten, gefolgt von kräftigen Schlägen gegen die Tür. »Polizei, machen Sie auf!«
Für einen kurzen Moment blieb Kaltenbach stehen, bückte sich zu Oberberger herunter und schloss ihm mit sanfter Bewegung die Augenlider. Dann stand er auf, atmete tief aus und stieg rasch die Treppe hinunter, um der Staatsgewalt die Tür zu öffnen.
Mittwoch, 14. März
»He, schlof nit i. So bisch due mir kei Hilf!«
Die tiefe, dröhnende Stimme des alten Kaltenbach riss seinen Neffen aus den Gedanken. In der Rebenreihe gegenüber grinste Cousine Hannah zu ihm herüber. Sie verkniff sich einen Kommentar und nickte ihm stattdessen aufmunternd zu. Lothar Kaltenbach konnte es gebrauchen. Seit neun Uhr an diesem Morgen stapfte er Meter um Meter die Rebstöcke seines Onkels Josef entlang, bog die vom Schnitt übrig gebliebenen Langtriebe in Richtung des in Brusthöhe verlaufenden Führdrahtes und band das vordere Ende mit einem zurechtgeschnittenen papierumwickelten Draht fest. Seit er von zu Hause losgefahren war, nieselte es, als er in Oberbergen ausstieg, nieselte es immer noch, jetzt, da er die erste Stunde Arbeit hinter sich gebracht hatte.
»Gut machst du’s. Hör nicht auf den alten Brummbär!« Hannah band die Reben mit geübtem Griff an den Draht. An Tempo war sie ihm deutlich voraus. »Sieh dir den Igor an!«
Onkel Josef, war bereits einige Reihen weiter und versuchte, mit weit ausladenden Gesten einen der Saisonarbeiter zu sorgfältigerem Arbeiten anzuspornen.
»Muess i denn alles selber mache!«, hörte man ihn von Weitem schimpfen. Der junge Mann aus Osteuropa verstand offensichtlich kein Wort und fuhr unbeeindruckt mit seiner Tätigkeit fort, was Onkel Josef zu weiteren hektischen Arm- und Handbewegungen veranlasste.
Trotz Hannahs Zuspruch besserte sich Kaltenbachs Laune wenig. Er hatte gehofft, dass ihn die Arbeit an der frischen Luft wieder einigermaßen zur Ruhe bringen würde. Das Gegenteil war der Fall. Der Tag auf dem Belchen und sein Streit mit Luise hatten ihn auf eine emotionale Achterbahn geschickt, auf der der Tod des Professors den makabren Höhepunkt bedeutete.
Nach der ersten Befragung durch die Polizei spät am Abend durfte er nach Hause. Er solle sich zur Verfügung halten, hatte ihn der Kommissar ermahnt. Die Hoffnung, dass Luise eine Nachricht hinterlassen hatte, war durch die energische Stimme seines Onkels auf dem Anrufbeantworter jäh unterbrochen worden, der ihn heute zu sich in den Weinberg beorderte. Am Ende des Tages hatte ihn dann trotz aller Aufregungen eine bleierne Müdigkeit übermannt, die ihn sogar ohne seinen gewohnten Schlaftrunk ins Bett fallen ließ.
Allzu früh am Morgen hatte ihn der Wecker aus wirren Träumen gerissen. Waschen und Frühstücken musste notgedrungen bescheiden bleiben, und nun stapfte er unausgeschlafen durch die eng bestückten Grauburgunder-Rebzeilen. Der wolkenverhangene Himmel, das alles durchdringende Nieselwetter und die missgelaunte Stimmung seines Onkels schienen sich verbündet zu haben zu einer passenden Kulisse für Kaltenbachs Morgenblues.
Der Familienzusammenhalt unter den Kaltenbachs war zwar
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