Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Nachdem sie ihn ein paar Tage nicht gesehen hatte, überrollte sie Kaltenbach mit ihren Mutmaßungen wie eine Lawine ein verschneites Dorf im Hochschwarzwald. Schon nach wenigen Sätzen sah er sich heillos verstrickt in Gerüchten, Spekulationen, Querverbindungen, Befürchtungen und Verdächtigungen, die sie mit tiefen Seufzern, heftigstem Kopfschütteln und kräftigen Verwünschungen garnierte.
Eine Viertelstunde nach Ladenschluss entschied Frau Kölblin, ihre Entrüstung in genügender Weise zum Ausdruck gebracht zu haben. Kaltenbach war danach sofort zum Bus gelaufen und hatte ihn gerade noch erwischt. Zu Hause rief er Luise an und berichtete ihr im Schnelldurchgang von seinem Besuch in Günterstal. Sie verabredeten, das Kaltenbach sie am anderen Morgen abholen würde.
Kaltenbach ließ das Wäldchen, das Maleck und Windenreute voneinander trennte, hinter sich und bog nach dem Friedhof am ›Windenreuter Hof‹ rechts ab in den Rathausweg. Wie jedes Jahr fühlte er sich nach den Wintermonaten ziemlich eingerostet. Vielleicht sollte er in diesem Jahr endlich mit Joggen beginnen. Er hatte gelesen, dass regelmäßiges Laufen nicht nur gesund sei, sondern auch Glückshormone freisetze. Markus lag ihm schon lange in den Ohren, mit ihm auf ein paar ›kleine Läufe‹ mitzukommen, wie er es ausdrückte.
Beim steilen Anstieg von der Ortsmitte hoch zur ›Waldschänke‹ geriet Kaltenbach dermaßen ins Schnaufen, dass seine Vorsätze mit jedem Schritt wieder abnahmen. Man musste es ja nicht übertreiben. Er hoffte im Stillen, dass ihn einer seiner drei Mitstreiter in der Nacht wieder zurückfahren würde.
Walter und Dieter empfingen ihn mit einem Hallo. Auch die Bedienung hinterm Tresen hatte ihn sofort erkannt und freundlich begrüßt. Kaltenbach orderte Gutedel und Mineralwasser.
»Gelaufen? Den ganzen Weg? Ich bin beeindruckt.« In Dieters Blick spiegelte sich eine Mischung aus Erstaunen und Fassungslosigkeit. Er gehörte zur Familie der eisernen Autobesitzer, die selbst zum Brötchenholen auf ihr Gefährt nicht verzichten konnten. Dieter war mächtig stolz auf seinen 3er BMW, der sich im Wettbewerb um die tägliche Aufmerksamkeit ein ernsthaftes Kopf- an Kopfrennen mit seiner Ehefrau lieferte. Und der immer den Kühler vorne hatte, wenn diese nicht dabei war.
»Du weißt gar nicht, was dir entgeht«, entgegnete Kaltenbach. »Würde dir auf jeden Fall nicht schaden.« Er grinste und klopfte mit den Fingern auf Dieters Wohlstandsbäuchlein. »Natur! Wir sind von dir umgeben und umschlungen.« Dieter öffnete die Arme mit einer theatralischen Geste. »An deine Lippen drängt’s, an deinem Busen hängt’s!«
Carola, die Bedienung, blickte irritiert, als sie die Getränke vor ihnen abstellte. Walter kicherte.
»Das hat man nun davon, wenn man die Kerle aufs Gymnasium schickt. Schlaue Sprüche und nichts dahinter.«
»Das war der Meister persönlich!«, spielte Dieter den Entrüsteten.
»Goethe? Na ja. Ein Teil davon klang verdächtig nach Dieter Rieckmann.«
»Auf die Klassik!« Dieter hob sein Rotweinglas.
»Auf die Klassiker!«
»Auf die 3er-Klasse«, nickte Kaltenbach, worauf sich Dieter mit einem Fußtritt unterm Tisch bedankte.
Er trank in kleinen, genießerischen Schlucken. Der Gutedel breitete sich auf seiner Zunge und im Gaumen aus und weckte die Vorfreude auf laue Sommerabende. Er liebte diese kleinen Sticheleien, die nie böse gemeint waren, auch wenn ein unbeteiligter Zuhörer das Gegenteil hätte vermuten können. Die Frotzeleien brachten Leichtigkeit in die Nöte des Alltags.
Natürlich wollten die beiden wissen, wie es mit Kaltenbachs Ermittlungen weitergegangen war. Als Markus eine Viertelstunde später dazu kam, erzählte Kaltenbach von den Geschehnissen der letzten Tage, ständig unterbrochen von Fragen und Kommentaren. Natürlich war der Mord an Oberberger der Knüller.
»Das warst du, der ihn gefunden hat? Der in der Zeitung stand?«
»Unser Lothar Kaltenbach aus Maleck! Ich glaub’s ja nicht.«
Die scherzhafte Stimmung an ihrem Tisch hatte sich schlagartig geändert.
»Ein richtiger Mord. Und du bist dabei.« Walter nickte anerkennend.
»Und warum haben sie dich nicht verhaftet?«, wollte Markus wissen. »Du bist doch sozusagen der Hauptverdächtige, oder?«
»Ihr seht zu viele Krimis«, erwiderte Kaltenbach. »Die Emmendinger Polizei ist realistischer als der Fernseh-Tatort.« Er erzählte von seinem Gespräch mit dem Kommissar. »Jetzt muss ich mich jeden Tag einmal melden,
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