Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Berggipfel.«
Der Belchen. War er ein Tor zur Anderswelt?
»Der Ort wurde wiederum kombiniert mit dem richtigen Zeitpunkt. Hochsommer mit der Sonnwende zum Beispiel. Oder Beltane, die Nacht zum ersten Mai, die wir heute Walpurgisnacht nennen. Auch jede Vollmondnacht war etwas Besonderes.«
»Vollmond? Sind Sie sicher?«
»Natürlich. Für viele Menschen ist das heute noch so, selbst in unserer nüchternen und schnelllebigen Zeit. Oder gerade deswegen.«
Geiger hob sein Glas und nickte Kaltenbach aufmunternd zu, ehe er selbst einen großen Schluck nahm. Die Pfeife verbreitete weiterhin ihren süßlichen Duft, der Kaltenbach allmählich benommen machte.
»Den Ritus selbst durften nur die eingeweihten Priester kennen und durchführen. Sie verkleideten sich als Totemtiere wie Wolf, Rabe oder Stier. Es gab magische Amulette und Symbole wie den Torques von Professor Oberberger, der nun leider verschwunden ist. Ein unersetzlicher Verlust.«
Kaltenbach hielt den Atem an.
»Und natürlich das Opfer, die wichtigste magische Handlung. Jedes Opfer schafft einen Verlust, eine Leere, die Platz macht für die Götter. Das kann eine Kerze, ein einfaches Feuer sein, das die Materie in Rauch auflöst, es können Früchte oder Blumen sein, oft auch Tiere, etwas Lebendiges. Je größer das Opfer, desto stärker die Wirkung.«
»Auch Menschenopfer?«
»Auch Menschenopfer. Das war allerdings eher die Ausnahme, in Fällen größter Not.« Geiger beugte sich vor und senkte die Stimme. »Es überschreitet die Grenze von der weißen zur schwarzen Magie. Wer sein Blut freiwillig vergießt, gibt ein Stück seiner selbst auf. Deshalb nahm man vorzugsweise Gefangene oder Sklaven.«
»Sie haben von dem Sturz am Kandel gehört, vor drei Wochen?«, unterbrach ihn Kaltenbach erneut.
»Der junge Mann in der Fasnetshäs.« Geiger nickte. »Ich habe davon gelesen. Man hat ein zerbrochenes Kreuz mit Tierblut gefunden. Die Zerstörung des heiligsten Symbols des Christentums. Ein starkes Opfer. Für mich weist das eindeutig auf eine Opferzeremonie hin. Vielleicht wollte der junge Mann auch einmal Hexenmeister spielen.«
Freitag, 16. März, abends
Die Abenddämmerung legte sich über den Breisgau wie eine mit Goldfäden durchwirkte Seidendecke. Es war, als ob die Natur am Ende des Tages nicht genug bekommen konnte von den Verheißungen der vor ihr liegenden Zeit des Wachsens und Gedeihens. In den Vorgärten des Brandelwegs zwitscherten die Vögel der untergehenden Sonne hinterher. Die Blattknospen der Büsche und Sträucher legten eine letzte Atempause ein, während die Katzen sich ausgiebig streckten und ihre Ruheplätze in Erwartung ihrer verdienten Abendmahlzeit verließen. Der runde Steinbrunnen gegenüber der ›Krone‹ plätscherte munter.
Kaltenbach hatte sich entschlossen, zu ihrem wöchentlichen Stammtisch zu Fuß zu gehen. Markus hatte vorgeschlagen, sich in dieser Woche noch einmal in der ›Waldschänke‹ zu treffen. Er wohnte nur wenige Straßen weiter und seine Arbeit ließ ihm in diesen Tagen wenig Zeit. Kaltenbach sah auf die Uhr. Es blieb ihm noch reichlich Zeit für die knapp drei Kilometer.
Während des ausgedehnten Spaziergangs über den Buck nach Windenreute ließ er den Tag noch einmal an sich vorüberziehen. Nur mit Mühe und viel Höflichkeit war Geiger davon abzuhalten gewesen, ihm seine umfangreiche Keltensammlung zu zeigen. Im Gegensatz zu Oberbergers Schätzen bestand sie fast ausschließlich aus Büchern, Bildbänden und etlichen Reproduktionen. »Für Originale fehlen mir die finanziellen Möglichkeiten«, bedauerte er.
Am Ende bedachte ihn der alte Herr mit einem Abschiedsgeschenk. »Mögest Du so leben, dass Du das Leben zu nutzen verstehst«, las Kaltenbach auf einer Postkarte mit einem verschlungenen Ornament. »Ein alter irischer Segensspruch«, erklärte Geiger. »Das Erbe der Kelten.«
Am Nachmittag hatte Kaltenbach nur wenig Gelegenheit, über das nachzudenken, was Geiger ihm erzählt hatte. Bereits kurz nach Ladenöffnung war eine achtköpfige Seniorenwandergruppe aus Bielefeld eingefallen, die nach einer Tour auf dem Vierburgenweg den Tag mit einem guten Tropfen in Erinnerung behalten wollte. Kaltenbach erklärte, pries an, entkorkte, schenkte ein, spülte und schenkte nach bis er sich endlich eine umfangreiche Bestellung gesichert hatte, die in etwa einem guten Wochenumsatz entsprach.
Eine halbe Stunde vor Ladenschluss war Kaltenbach mit seinen Kräften am Ende, als Frau Kölblin erschien.
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