Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
mehr auffallen, wenn du in der Gruppe fehlst. Vor allem König. Dem kannst du bestimmt noch Einiges entlocken.«
Luise blickte schweigend an ihm vorbei ins Tal hinunter. Weit unterhalb lag das verschneite Neuenweg, von dessen Häusern und Ställen feine Rauchfäden hoch in die Luft zogen. Dahinter verlor sich der Blick im diesigen Schleier über dem Kleinen Wiesental.
»Und außerdem«, fügte Kaltenbach zögernd hinzu, »mache ich mir Sorgen um dich.«
Luise sah ihn an. Für einen kurzen Moment spürte er wieder die Spannung, wenn er versuchte, ihr näherzukommen.
»Ohne Hintergedanken.«
Luise blickte ihn an. »Das freut mich«, sagte sie ruhig.
»Was heißt das nun?«
»Du hast einen Vorschlag gemacht, und den finde ich gut.«
Kaltenbach sah, wie König über den Hof gelaufen kam und ihnen zuwinkte.
Luise fasste Kaltenbachs Hände und sah ihn an. »Es ist für Peter«, sagte sie.
Sie verständigten sich, dass Luise ihn mit einem verstauchten Knöchel entschuldigen würde, falls der Studienrat oder einer der Wächter fragen sollte. Doch es war weniger kompliziert, als sie befürchtet hatten. Etwa eine Viertelstunde, ehe sie loslaufen sollten, kamen vom Parkplatz herüber weitere Gäste hinzu. Es waren Mitglieder einer Ortsgruppe des ›Naturschutzes Südschwarzwald‹, die extra in zwei Kleinbussen für den Nachmittag hierher gekommen waren.
Im allgemeinen Durcheinander fiel es daher nicht auf, dass Kaltenbach zurückblieb. Er verbarg sich auf der rückwärtigen Seite des Hauses, bis das Geräusch der Stiefel und die letzten Gesprächsfetzen hinter den Schneehügeln verklungen waren. Der größte Teil der Hauswand lag unter mannshoch aufgestapelten Holzscheiten.
Er wartete noch eine kleine Weile und ging dann um das Haus herum zur Eingangstür. Er rüttelte an der Klinke, doch sie rührte sich nicht. Die Fenster zur Talseite hin waren ebenfalls verschlossen, auf der Rückseite des Hauses waren sogar schwere hölzerne Läden davorgeklappt. Eine kleine Holztür, die mit drei Steinstufen zu einer Art Keller hinunterführte, ließ sich nicht öffnen.
Kaltenbach ließ sich enttäuscht auf die kleine Sitzbank neben der Eingangstür fallen. Wie konnte er erwarten, dass die Wächter das Haus unabgeschlossen lassen würden! Er sah auf die Uhr. Luise und die anderen waren seit gut einer Viertelstunde weg. Wenn er sich beeilte, könnte er sie noch einholen.
Vor seinen Füßen tropfte es auf den Boden. Er hob den Kopf und sah direkt über sich einen dicken Eiszapfen. Alle paar Sekunden gab er einen Tropfen frei, der in der kleinen Pfütze vor ihm aufschlug und zerplatzte. Natürlich! Der Balkon war eine Möglichkeit, die er völlig vergessen hatte.
Er musste zwei Mal um das Haus herumgehen, ehe er eine geeignete Stelle gefunden hatte. Eine Leiter gab es nicht. Doch ein Holzgestell mit Maschendraht, das wohl einmal als Hasenstall gedient hatte, schien ihm stabil genug. Mit einem kräftigen Ruck löste er es aus dem hart gefrorenen Untergrund und schleppte es zur Wand eines angebauten Schuppens. Mit aufgeschrammten Fingern und etwas Glück gelang es ihm, auf das mit Teerpappe belegte Dach zu klettern. Von dort aus war es nicht mehr schwierig, den um das ganze Haus laufenden Balkon zu erreichen.
Für einen Moment kauerte er regungslos hinter der schweren Brüstung. Eine grau getigerte Katze saß auf der sonnengewärmten Balustrade und blickte ihn mit halb geöffneten Augen träge an. Er horchte, doch er vernahm nichts außer dem Tropfen des Schmelzwassers und dem leisen Knacken der alten Holzbalken. Vorsichtig sah er sich um. Schon nach kurzem Suchen hatte er Glück. Eines der Fenster war angelehnt und ließ sich mit einem leichten Druck öffnen. Er zwängte sich über den Sims durch die schmale Öffnung. Der Holzboden knackte verdächtig laut, als er mit den Füßen aufkam.
Das Zimmer lag im Halbdunkel. Trotzdem wagte er nicht, Licht zu machen, um nicht von außen gesehen zu werden. Im Schummerlicht sah er, dass er in einem der Privaträume sein musste. An der rechten Zimmerwand standen zwei schwere alte Holzschränke, in der Ecke ein Schreibtisch. Über einem einfachen Bett war eine Art Baldachin gespannt, von dessen Rändern an Schnüren Kräuterbüschel hingen. Das Kopfende schmückte ein überdimensionaler Mistelzweig.
Konnte es sein, dass er durch Zufall ausgerechnet in Sutters Zimmer gelangt war? Hatte nicht der Oberstudienrat erzählt, die anderen Wächter wohnten irgendwo in den umliegenden
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