Teufelsleib
Sie suchten fieberhaft nach Personen, die in letzter Zeit Kontakt zu ihr gehabt hatten. Ergebnislos. Und die Frustration bei der Polizei, besonders bei Brandt und Eberl, nahm zu.
Die Ermittlungen liefen noch, wenn auch nicht mehr auf Hochtouren, als ein weiterer Mord an einer jungen Frau Offenbach erschütterte.
Es war der 14. August, ein unangenehm schwüler Tag, wie er so typisch für die Monate Juni bis September im Rhein-Main-Gebiet ist. Schwül, windstill und eine Sonne, die zwar den ganzen Tag schien, sich aber hinter faserigen Schleierwolken versteckte, dabei jedoch nichts von ihrer gewaltigen Kraft einbüßte. Das Leben lief langsamer ab, die Menschen waren gereizt.
An diesem Tag wurde Bettina Schubert in einem unscheinbaren Mehrparteienhaus inmitten mehrerer anderer unscheinbarer Häuser in Bürgel aufgefunden, nur knapp einen Kilometer vom ersten Tatort entfernt. Ein Haus, das ein fast perfekt getarntes Bordell war. Als man in der Nachbarschaft fragte, ob man von diesem Etablissement wisse, wurde dies einhellig verneint, auch wenn Brandt ahnte, dass einige der befragten Männer das Etablissement kannten: zehn Wohnungen, sämtlich vermietet an Teilzeitprostituierte, von denen manche nur wenige Monate blieben, während andere schon seit Jahren hier ihrem Geschäft nachgingen.
Zehn Wohnungen, in denen junge Frauen zwischen neunzehn und Anfang dreißig ihren Körper verkauften. Wohnungen, in denen kaum jemand nach dem Rechten sah und die Huren sich selbst überlassen waren, auch wenn sie aufeinander aufpassten, sofern sie nicht gerade selbst beschäftigt waren. Huren, die die Wohnungen ausschließlich fürs Geschäft nutzten und ansonsten ein mehr oder minder geregeltes Leben innerhalb der Gesellschaft führten. Ein Doppelleben, von dem die Menschen in ihrem Umfeld selten etwas ahnten. Huren, von denen es im Rhein-Main-Gebiet immer mehr gab. Huren, die in Offenbach, Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Heusenstamm, Hanau, Aschaffenburg lebten – oder auch in einem Dorf, wo jeder jeden kannte, wo nur niemand wusste und wissen durfte, welchem Gewerbe die Damen nachgingen. Dörfer oder kleine Städte wie Niederdorfelden, Schöneck, Bad Orb, Obertshausen, Egelsbach, Langen, Erbach, Michelstadt und viele mehr. Im Prinzip konnte jede Frau überall dem horizontalen Gewerbe nachgehen, da die Sperrgebietsverordnung in den meisten Gebieten aufgehoben worden war. Unter anderem in Offenbach, wo es nur einen winzigen Bereich gab, wo Prostitution untersagt war. Doch selbst dort hatten Beamte schon welche entdeckt. Ein lukratives Geschäft, das von der Nachfrage bestimmt wurde. Da das Angebot zunehmend größer wurde, waren die Preise in den vergangenen Jahren immer tiefer in den Keller gerutscht. Nur noch Luxushuren verdienten das große Geld. Für dreißig Euro bekam »Mann« häufig schon das volle Programm – von Huren, die sich meist so zurechtmachten, dass sie selbst von einem guten Bekannten oder Freund, sofern er sich in diese Gegend verlief, nicht erkannt wurden. Sie beherrschten alle Tricks, sich von der biederen Hausfrau in den männermordenden Vamp, von der unscheinbaren Studentin in die laszive Dame für gewisse Minuten oder auch Stunden zu verwandeln.
Die Polizei kannte das Haus in Bürgel schon lange und duldete diese Form der Prostitution. Das Einzige, was von den dort tätigen Damen vom Gesundheitsamt verlangt wurde, war, dass sie sich regelmäßig auf Geschlechtskrankheiten untersuchen ließen und sich einem HIV -Test unterzogen. Insgesamt hatte es sich bis vor einem Jahr um zehn Frauen gehandelt, doch nun waren es nur noch neun.
Während man bei Anika Zeidler nicht wusste, ob der Fundort auch der Tatort war, wurde Bettina Schubert definitiv in ihrer Wohnung ermordet, in der sie ihre Freier empfing.
Bettina Schubert war verheiratet gewesen, hatte einen siebenjährigen Sohn, der jedoch bei ihren Großeltern in Neuss lebte, und sie hatte, so ihr Mann, bei einer Spedition gearbeitet. Doch neben dieser Tätigkeit betrieb sie ein wesentlich einträglicheres Gewerbe, in dem sie an mindestens vier Tagen in der Woche pro Tag zwischen fünf und zehn Freier empfing. Zunächst sah es so aus, als wüssten weder ihr Mann noch ihre Freunde und Bekannten etwas über dieses Leben neben dem normalen Leben. Doch im Verlauf der Ermittlungen erhärtete sich der Verdacht, dass ihr Mann sehr wohl von der Arbeit seiner Frau Kenntnis hatte und seinen aktenkundigen Drogenkonsum und seine Spielsucht mit Hilfe ihrer
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