Teufelsleib
hinterlegt. Es war eine Absicherung, doch sie hatte nicht vor, dieses Wissen jemals auszunutzen, es sei denn, er missbrauchte ihr Vertrauen, was sie sich jedoch nicht vorstellen konnte. Ein steinreicher verheirateter Mann, der sich bei ihr holte, was er zu Hause nicht bekam. Und das war beileibe nicht nur Sex, er spielte sogar eher eine untergeordnete Rolle, nein, er kam hauptsächlich, um sich mit ihr zu unterhalten.
Ein melancholischer Mann, dem es nicht gestattet war, diese Traurigkeit und somit auch Verletzlichkeit nach außen zu zeigen, weder in seinem Beruf als Privatbankier noch in seiner Familie. Er hatte stark zu sein, dabei war er tief in seinem Innern einsam und schwach. Ein besonderer Mann, Mitte fünfzig, künstlerisch sehr begabt, was jedoch außer Yvonne niemanden interessierte, er beherrschte nicht nur Klavier, Gitarre und Klarinette, sondern war auch ein begnadeter Maler, und während eines New-York-Aufenthalts erzählte er bei einem ausgedehnten Dinner in Greenwich Village von seinen Jugendträumen, die nie in Erfüllung gegangen waren. Er hatte Künstler werden und sich nicht den Konventionen und dem Druck von außen beugen wollen, aber sein Vater, der ein fast vierhundert Jahre altes Frankfurter Bankhaus in zwölfter Generation führte, hatte darauf bestanden, dass der Sohn eines Tages seinen Platz einnahm. Er schickte ihn auf die teuerste Schule und eine exklusive Universität, doch glücklich wurde der Junge nie. Und er hatte sich nie getraut, sich seinem Vater zu widersetzen, einem tyrannischen Herrscher nicht nur über die Bank, sondern auch über die Familie.
Mittlerweile leitete er die Bank seit fünfundzwanzig Jahren, während sich seine Eltern nur noch hin und wieder in ihrer Heimat blicken ließen. Die meiste Zeit lebten sie auf St. Barth, einer Insel in der Karibik, wo sich die Reichen und Schönen ihre Villen und Paläste gebaut hatten. Wo Jachten vor Anker lagen, von denen die meisten mehr wert waren als eine Villa in der nobelsten Ecke Frankfurts oder Hamburgs. Spielzeug für jene, die es sich leisten konnten.
Seit achtundzwanzig Jahren war er verheiratet, doch die Ehe dümpelte schon seit einer halben Ewigkeit nur noch vor sich hin, sie hatten sich kaum noch etwas zu sagen, sie schliefen getrennt, seine Frau war, wie er glaubhaft und nicht ohne Ironie versicherte, eine tiefreligiöse Jetsetterin, die es perfekt verstand, das Geld mit vollen Händen auszugeben und gleichzeitig die Demut in Person zu spielen. Sie engagierte sich in diversen Wohltätigkeitsorganisationen, wobei sie großen Wert darauf legte, dass jeder sah, wie gut sie es doch mit den Menschen meinte. Und sie besuchte Sonntag für Sonntag die Kirche, die personifizierte Frömmigkeit, hatte er sarkastisch hinzugefügt. Auf der einen Seite und für alle sichtbar Mutter Teresa, im Privatleben jedoch kalt und desinteressiert an allem, was ihn betraf, ganz gleich, ob es um seinen Beruf oder seine Berufungen ging oder um seine Wünsche, Hoffnungen und Träume. Und schon gar nicht interessierte sie, was er fühlte. Sie hatte zwei Gesichter, die er nicht mehr ertrug und doch ertragen musste, ging es doch um die Fassade einer guten Ehe, die unter allen Umständen aufrechterhalten werden musste – auch wenn es ihn anwiderte.
Je länger Yvonne ihn kannte, desto mehr glaubte sie ihm. Wenn er über seine Frau sprach, dann nicht verächtlich oder gar voller Hass. Er sagte nur, dass die Liebe schon lange auf der Strecke geblieben sei und nur noch Routine das Zusammenleben bestimme.
Warum er sich nicht schon längst von ihr getrennt habe, hatte Yvonne ihn nach dem vierten oder fünften Treffen gefragt, doch er hatte nur die Schultern gezuckt und gemeint, er habe vieles gelernt, aber nie, aufzubegehren oder gar auszubrechen. Er hatte stets alles zur vollsten Zufriedenheit seines Vaters und seiner Frau erledigt, aber dass er dabei auf der Strecke geblieben war, das hatte niemand bemerkt. Er spürte, wie seine Kräfte schwanden, und er konnte sich immer weniger vorstellen, sein fremdbestimmtes Leben so weiterzuführen. Lieber würde er sterben, aber Yvonne solle nicht glauben, er denke dabei an Selbstmord, nein, er meine damit nur, dass er keine Angst vor dem Tod habe und es ihm gleich sei, ob er heute oder morgen oder erst in dreißig Jahren starb.
Das einzige Kind, eine Tochter, interessierte sich nicht für die Bank, und er ließ sie gewähren. Sie studierte Literaturwissenschaften und sang recht erfolgreich in einer Band. Sie
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