Teufelsleib
Ein Mann, der aus irgendeinem Grund zum Mörder geworden war. Vielleicht hatte Anika Forderungen gestellt, die zu erfüllen er nicht bereit war. Vielleicht wollte sie, dass er sich von seiner Frau trennte, vielleicht war er ihrer auch nur überdrüssig geworden. Vielleicht hatte sie ihn erpresst. Oder die Geschichte spielte in einem völlig anderen Milieu, dem der Callgirls und Edelhuren, und sie hatte es mit jemandem zu tun, vielleicht einem Freier, der Anika für sich allein haben wollte … Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Die gesamten Ermittlungen waren mit einem Vielleicht behaftet. Noch.
Zehn Tage waren seit dem Leichenfund verstrichen, als ein bis heute unbekannter Mann bei der Polizei anrief und behauptete, Anika zu kennen. Er nannte weder seinen Namen, noch konnte festgestellt werden, woher er anrief, da er seine Nummer unterdrückt hatte. Er erklärte, Anika habe als Edelprostituierte gearbeitet, und das seit ungefähr drei Jahren. Sie sei ein Profi gewesen und habe bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich Stammkunden aus einer sehr gehobenen und einflussreichen Klientel gehabt. Auch er selbst gehöre dazu, weshalb er seinen Namen nicht nennen wolle beziehungsweise könne. Auf die Frage von Brandt, ob er mit dem Mord an Anika etwas zu tun habe oder ob er jemanden kenne, dem er so etwas zutrauen würde, antwortete der Unbekannte mit einem klaren und energischen Nein. Er kenne zwar einige Personen, die zu den Kunden von Anika gehörten, doch keiner von ihnen käme in Frage, dafür würde er seine Hand ins Feuer legen. Bevor er auflegte, gab er der Polizei die Adresse, wo Anika ihr Gewerbe betrieb. Dabei handelte es sich um eine luxuriöse Maisonette-Wohnung in einem Hochhaus im Herzen Frankfurts. Als Brandt die Adresse notierte, musste er schlucken, lag das Haus doch nur wenige Schritte von dem entfernt, in dem Elvira Klein ihre Wohnung hatte. Neue Mainzer Straße. Eine Wohnung mit exklusivem Blick über die Dächer Frankfurts und auf die sagenhafte Skyline bis zum Taunus und den Odenwald, wie die Beamten sich überzeugen konnten.
Brandt begriff nun, warum sich erst so spät jemand bei der Polizei gemeldet hatte. Obwohl es einen Portier und Überwachungskameras gab, lebte man hier weitgehend anonym, viele Bewohner waren betuchte Geschäftsleute, etliche kamen nur sporadisch in ihre Wohnungen, weil sie ihren Hauptwohnsitz anderswo hatten und sich nur hier aufhielten, wenn sie in Frankfurt oder Umgebung zu tun hatten. Piloten, Banker, Geschäftsleute. Oder welche, die die Wohnung als Refugium brauchten, wenn sie ihre Ruhe haben wollten.
Die Durchsuchung verlief enttäuschend. Zwei Tage lang durchkämmten Nicole Eberl und Kollegen von der Spurensicherung die großzügig geschnittene Wohnung, ohne ein Adressbuch, einen Computer oder irgendetwas anderes zu finden, wo die Namen der Kunden aufgeführt waren. Es gab nicht einmal ein normales Telefon, und das Handy, von dem aus Anika regelmäßig mit ihren Eltern und ihrem Bruder telefoniert hatte, war zwar bei der Leiche gefunden worden, aber die geführten Telefonate waren ausschließlich mit ihrer Familie und ein paar Freunden und Bekannten. Man vermutete, dass schon vor der Polizei jemand hier gewesen war, um alle verdächtigen Spuren zu beseitigen. Jemand, der möglicherweise in diesem Haus wohnte und einen Schlüssel zu der Wohnung hatte. Brandt und seine Kollegen gingen davon aus, dass es sich tatsächlich um den anonymen Anrufer handelte. Er hatte alles weggeschafft, was auch nur im Entferntesten mit ihm und anderen Kunden von Anika Zeidler in Verbindung gebracht werden konnte. Einschließlich sämtlicher Kontoauszüge, weshalb man trotz aller Bemühungen nicht herausfand, bei welcher Bank oder Sparkasse sie ihr Geld hortete, obwohl man davon ausgehen musste, dass Anika Zeidler im Laufe der knapp drei Jahre ein kleines Vermögen angehäuft haben musste.
Anika Zeidler, zumindest so viel fanden die Ermittler heraus, hatte die Wohnung vor gut einem Jahr von einem Mann, der mittlerweile in die Toskana gezogen war, gekauft und bar bezahlt. Er konnte sich natürlich an die junge Frau erinnern und war hocherfreut gewesen, dass sie das Geld bar auf den Tisch gelegt hatte. Er habe sich gewundert, woher eine derart junge Frau so viel Geld hatte, doch er habe nicht nachgefragt. Und nein, es sei kein Mann bei ihr gewesen.
Brandt und seine Kollegen wussten nun zwar, womit Anika Zeidler ihr Geld verdient hatte, am Ende standen sie dennoch mit leeren Händen da.
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