Teufelsleib
aufwachen, würde er ihr die Wahrheit über ihren Freund ganz dick aufs Brot schmieren – in der Hoffnung, sie würde auf ihn hören und diesen Jörg in den Wind schießen.
Michelle hatte noch keinen Freund, sie konzentrierte sich auf die Schule und war in ihrer Freizeit meist mit ihren beiden besten Freundinnen zusammen. Die Sorgen, die er sich um Sarah machte, waren bei Michelle noch unbegründet. Aber was würde in ein, zwei Jahren sein? Er wusste ja nicht einmal, wie es dann um ihn bestellt sein würde. Ob die Beziehung mit Elvira Bestand hatte oder sie eines Tages wie Andrea zu dem Schluss kam, dass sie doch mehr Freiraum für sich brauchte. Hinzu kam die Angst, dass ein Jüngerer ihm den Rang ablaufen könnte, weil Brandt ihr doch zu alt wurde, auch wenn sie immer wieder betonte, dass ihr der Altersunterschied, wie sie es nannte, schnurzpiepegal war …
Nicht mehr lange, und Sarah und Michelle würden das Haus verlassen. Sie hatten ihre Flügel bereits getestet, waren aber noch nicht aufgebrochen, weil sie noch nicht richtig fliegen konnten. Länger als zwei oder drei Jahre würde Sarah nicht mehr hier wohnen, bei Michelle würde es vielleicht noch etwas länger dauern. Sarah hatte angedeutet, dass sie Romanistik studieren wolle, und das könnte sie am besten vor Ort in Sevilla, nicht weit vom Domizil ihrer Mutter entfernt. Das würde zumindest das Problem mit dem jungen Kerl lösen, der außer einem guten Aussehen nichts mitbrachte, dachte Brandt. Und auch Michelle zog es immer häufiger nach Spanien.
Es gab Momente, da dachte er wehmütig an die Zeit zurück, als sie noch klein waren. Wie schnell waren die Jahre vergangen, seit seine beiden Mäuse, wie er sie nannte, geboren wurden. Mit immer schnelleren Schritten bewegte er sich auf die fünfzig zu, ein Alter, das etwas Furchteinflößendes hatte. Ein Alter, in dem man alt war und sich nicht mehr zu den Jungen oder Jüngeren zählen durfte. Wo die Entfernung bis zur Pensionierung kürzer wurde. Er verdrängte diesen Gedanken, so gut es ging, indem er sich in die Arbeit stürzte und so viel Zeit wie nur möglich mit seinen Töchtern und Elvira verbrachte. Er fühlte sich fit, auch wenn er fast zehn Kilo zugenommen hatte, was nicht zuletzt an seiner Lust auf Süßigkeiten und Fastfood und zu wenig Schlaf und Bewegung lag. Beinahe täglich nahm er sich aufs Neue vor, etwas gegen die überflüssigen Pfunde zu tun, und versuchte es durch entsprechende Kleidung zu kaschieren, doch sobald er unter der Dusche stand, musste er der brutalen und im wahrsten Sinn des Wortes nackten Wahrheit ins Gesicht blicken. Elvira schien es nicht zu stören, auch wenn sie bereits die eine und andere Bemerkung hatte fallen lassen, aber nie vorwurfsvoll oder spöttisch. Früher hatte er oft gejoggt, hatte Krafttraining absolviert und war stolz auf seinen Körper gewesen. Früher. Und es war sein innerer Schweinehund, der ihn hinderte, sich wieder sportlich zu betätigen.
Elvira hingegen sah noch immer aus wie vor sechs Jahren, als sie sich das erste Mal begegnet waren: groß, schlank und kaum eine Falte im Gesicht. Keine Orangenhaut, kein Gramm Fett zu viel, ein Körper wie eine Zwanzigjährige, obwohl sie schon achtunddreißig war. Ein Grund mehr, endlich etwas zu tun, sich nicht gehen zu lassen und ihr zu zeigen, dass sein Äußeres ihm nicht gleichgültig war. Elvira war die Liebe seines Lebens, und er wollte diese Liebe auf keinen Fall verlieren. Warum war er so phlegmatisch geworden? Er wusste es nicht. Aber er würde etwas gegen das Phlegma und für seinen Körper tun. Um sich wohl zu fühlen, sich wieder im Spiegel anschauen zu können – und für Elvira.
Er hörte, wie sie sich die Haare föhnte, diese langen, blonden Haare, die sie nur bei ihm offen trug. Im Beruf steckte sie sie hoch oder flocht sie zu einem Zopf.
Nach einer halben Stunde kam sie aus dem Bad, nur mit einem Badetuch um den Oberkörper. Eine schöne, elegante, kluge und anschmiegsame Frau, und er fragte sich wieder einmal, womit er sie verdient hatte. Seit sie zusammen waren, hatte sie ihn nie spüren lassen, dass sie beruflich über ihm stand, dass sie aus einem reichen und einflussreichen Elternhaus stammte, dass sie die beste Bildung genossen und gelernt hatte, sich auf allen Parketts zu bewegen.
»Kommst du auch?«, fragte sie, bevor sie ins Schlafzimmer ging.
»Ich muss auch noch duschen. Nach so einem Tag fühle ich mich automatisch schmutzig, auch wenn ich nicht geschwitzt habe.«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher