Teufelsmauer
Königinnenâ¹.« Er wedelte mit einer Klarsichthülle, in der das ausgedruckte Protokoll des Vorfalls steckte. Nach dem Tod der Limeskönigin hatten die Streifenbeamten ihren zunächst nur kurzen Einsatzbericht noch einmal ausführlich niedergeschrieben.
Gespannt griff sich Morgenstern die Blätter und begann zu lesen. Die Kipfenberger Limeskönigin war demnach am Sonntagabend kurz vor einundzwanzig Uhr auf dem Festplatz mit zwei Kolleginnen in Streit geraten. Im Gerangel war das vergoldete Krönchen der Krautkönigin übel, eventuell sogar irreparabel verbogen worden, die seidene Schärpe der Kartoffelkönigin hatte einen hässlichen Riss bekommen, und der Limeskönigin war einer ihrer silbernen Armreife verloren gegangen â doch alle drei Hoheiten hatten beim Eintreffen der Staatsmacht auf eine Anzeige verzichtet und sich in Schweigen gehüllt. Die Beilngrieser Beamten hatten es deswegen bei einer mündlichen Verwarnung und dem rustikalen Rat »Schleichtâs euch!« belassen, woraufhin die drei Kontrahentinnen ihre etwas zerknitterten Roben gerafft und ins Festzelt zurückgestöckelt waren. Jetzt freilich, nach dem Tod der Limeskönigin, erschien die royale Kontroverse in einem deutlich weniger harmlosen Licht.
»Da kratzen sich drei Frauen fast die Augen aus, und ein paar Stunden später ist eine von ihnen tot«, sagte Morgenstern nachdenklich.
»Krautkönigin. Was es nicht alles gibt.« Hecht tippte etwas in seinen Computer. »Kraut und Rüben.«
»Aber bei einer Spargelkönigin wunderst du dich nicht«, gab Morgenstern zurück.
»Das ist etwas ganz anderes. Der Spargel ist das edelste Gemüse der Welt. Aber nur, wenn er aus Schrobenhausen kommt.«
»Dein Lokalpatriotismus ist manchmal geradezu lächerlich.«
»Das sagt mir einer, der seinen Tee aus einer Tasse vom Nürnberger Christkindlmarkt trinkt.«
»Wenigstens haben wir keine Bratwurstkönigin.«
»Aber dafür den Uli Hoeneà als Bratwurstkönig«, schoss Hecht zurück und freute sich. Denn wenn Morgenstern sich überhaupt für FuÃball interessierte, dann war er als Franke selbstverständlich Clubfan und gleichzeitig Verächter des übermächtigen FC  Bayern München.
»Treffer«, sagte Morgenstern grinsend, wurde dann aber ernst und griff zum Telefonhörer.
Als Erstes rief er die Krautkönigin an, deren Adresse sich problemlos über die Verwaltung des winzigen Städtchens Merkendorf im Fränkischen Seenland ermitteln lieÃ: Julia Haberlein. Er erreichte sie an ihrem Arbeitsplatz in der Filiale der örtlichen Raiffeisenbank, und sie hatte bereits vom mysteriösen Tod der Limeskönigin gehört. Sie sei mehr oder weniger in den Streit hineingezogen worden, behauptete sie. Sie habe nur mit der Kartoffelkönigin, die sie von einigen früheren gemeinsamen Terminen kenne, kurz auf die Toilette gehen wollen. (Morgenstern fragte sich nicht zum ersten Mal, warum Frauen so ungern alleine aufs öffentliche WC gingen.) Beim Anstehen an der Schlange vor dem Wagen sei dann die Limeskönigin hinzugekommen, und unerwartet seien sich Kartoffel- und Limeskönigin ins Gehege gekommen, anscheinend bei der Frage, wer als Erste in die fahrbare Bedürfnisanstalt dürfe.
»Wie Kriemhild und Brunhilde vor dem Wormser Dom«, stellte Hecht beiläufig fest, wozu Morgenstern die Stirn runzelte.
Jedenfalls sei das dann mit der Toilette nichts mehr geworden, weil die beiden Königinnen die Contenance verloren und sich über den halben Festplatz geschubst hätten. Die Krautkönigin wiederum sei unglücklicherweise von der Kartoffelkollegin in die Sache hineingezogen worden und schäme sich inzwischen in Grund und Boden für den Vorfall. Das habe sie gestern auch schon dem Merkendorfer Bürgermeister erklären müssen, denn der sei in Sachen Krautrepräsentanz ihr Chef. Das Stadtoberhaupt habe die Sache zum Glück eher heiter gesehen: Er hoffe sehr, dass die Krautkönigin nicht noch einmal durch »ungehobeltes Verhalten« auffalle.
Als Morgenstern ratlos in den Telefonhörer schwieg, sah sich die Krautkönigin zu einem kurzen, aber anscheinend gut einstudierten Vortrag ermuntert, was es mit gehobelt und ungehobelt in Zusammenhang mit ihrem landwirtschaftlichen Lieblingsprodukt auf sich habe. Der berühmte und angeblich besonders schmackhafte Merkendorfer
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