Teufelsmauer
marschieren die ganze Woche lang.«
»Am Limes?«
»Ja, das ist ein Legionärsmarsch. Wie vor zweitausend Jahren.«
»Ach, das ist ja interessant. Und wo führt der hin?«
»Von der Donau bei Kelheim bis nach Aalen in Baden-Württemberg. Ich bin gespannt, ob sie das schaffen.«
Morgenstern überlegte kurz. »Und, wenn ich fragen darf, wer sind Sie?«
»Ich bin Anna Russer, Gundekars Mutter. Ich kümmere mich ein bisschen um die Wohnung, wenn er nicht da ist. Vor allem um die Katze, seine Mimi. Wenn die keine Ansprache hat, dann ist sie beleidigt.«
Morgenstern blickte auf seine Uhr. Es war kurz vor einundzwanzig Uhr. »Frau Russer, kann ich vielleicht kurz bei Ihnen vorbeikommen? Ich will das alles nicht gerne am Telefon besprechen. Es geht um eine frühere Freundin Ihres Sohnes.«
»Ãhm, wie war Ihr Name gleich wieder?«
»Morgenstern. Ich bin bei der Polizei, bei der Kripo.«
»Kriminalpolizei? Also gut, dann kommen Sie. Sie wissen, wo die Wohnung ist?«
»In der PfahlstraÃe«, nickte Morgenstern. »Ich bin in fünf Minuten da.«
Und schon war er auf der Treppe.
Die Eichstätter PfahlstraÃe führte parallel zur Altmühl von Westen kommend direkt am Rathaus vorbei bis zur Spitalbrücke und der ehemaligen Residenz des Fürstbischofs. Eine mit Granitsteinen gepflasterte schmale StraÃe, eher eine Gasse â und trotzdem war diese EinbahnstraÃe eine der meistbefahrenen Routen der Altstadt. Friseurläden und ein Fossilienhändler, das örtliche China-Restaurant, ein Reisebüro und vieles mehr waren hier angesiedelt. Auch die Rückseite des Rathauses grenzte an diese StraÃe.
Was den meisten Passanten aber am stärksten ins Auge stach, war ein Neubau in bester Lage, dessen Erdgeschoss seit einigen Jahren ausschlieÃlich dem Kampf gegen die katholische Kirche gewidmet war. Morgenstern hatte sich schon häufig staunend die unzähligen gerahmten Plakate angesehen, die hinter der Glasfront des Ladens aufgestellt waren und allesamt das Ziel hatten, Passanten zum Kirchenaustritt zu bewegen. Ob sich auch nur ein einziger Flaneur beim Einkaufsbummel spontan für den Atheismus entschieden hatte? Sicher war Morgenstern sich allerdings, dass die Plakate bei aller Schmähkritik juristisch nicht zu packen waren. Der Betreiber konzentrierte sich ausdrücklich aufs Zitieren möglichst honoriger Literaten oder Staatsmänner, die an Mutter Kirche Fundamentalkritik geübt hatten. Je deftiger, desto lieber. Gewürzt war das alles noch mit Hinweisen auf pädophile Verfehlungen im Kirchendienst sowie Verkehrswarnschildern, auf denen ein altertümlicher Geistlicher in Soutane mit weit ausgestreckten Armen fliehende Kinder verfolgte.
Morgenstern, der gebürtige GroÃstädter, sah solches Treiben mit Gleichmut, wenn es ihn nicht gar als knallbunten Kontrapunkt zum überall in der kleinen Stadt auftrumpfenden Barock-Katholizismus amüsierte. Ihm war aber durchaus bewusst, dass eine groÃe Mehrheit das nicht so entspannt sehen konnte, aber zähneknirschend einsehen musste, dass gegen diese hartnäckige Ein-Mann-Kampagne eines Hausbesitzers in einem Land mit ausgeprägter Meinungsfreiheit kein Kraut gewachsen war.
Als er jetzt zu Fuà durch die PfahlstraÃe eilte, stellte er fest, dass Russer genau im Gebäudekomplex des Kirchenkritikers seine Mietwohnung hatte.
Anna Russer betätigte fast im selben Moment, als Morgenstern die Klingel gedrückt hatte, den Türsummer und rief durchs Treppenhaus, er solle in den dritten Stock kommen. Morgenstern eilte hinauf. Sie stand in der Wohnungstür, als er etwas auÃer Atem oben ankam, und es war ihr anzusehen, dass sie sich ihren Besucher von der Kripo Ingolstadt irgendwie anders vorgestellt hatte.
»Und Sie sind also von der Polizei?«, sagte sie statt einer BegrüÃung.
Morgenstern hatte zum Glück seinen Geldbeutel mit dem Dienstausweis in die Hosentasche gesteckt und wies sich aus, um alle Zweifel an seiner Seriosität auszuräumen.
»Kommen Sie rein, aber ziehen Sie Ihre Schuhe aus«, forderte Anna Russer ihn auf.
Mühsam quälte sich Morgenstern noch im Treppenhaus aus seinen Stiefeln und stellte sie säuberlich neben die FuÃmatte. »Ave«, las er auf dem FuÃabstreifer. Das war passend für die Wohnung eines Römerfans und hundertmal origineller als die Aufforderung »Haxân
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