Teufelsmond
eilig, dann warf sie einen Blick hinüber zum Haus des Glenbauern. «Es tut mir Leid, der Junge, er hätte nicht sterben sollen», sagte sie und wollte die Tür zuschlagen, aber Karla hatte ihren Fuß dazwischengestellt. «Ist das alles, was Ihr an Mitgefühl aufbringen könnt?», fragte sie.
Die dürre Bernadette warf noch einen Blick zum Glenhaus. Dann kramte sie in ihrer Kitteltasche, holte eine Kupfermünze daraus hervor. «Da, Karla, nimm das und kaufe eine Kerze für den Jungen. Stell sie in der Kirche auf. Ich werde heute Nacht für ihn beten.» Die Bernadette gab Karla einen leichten Stoß vor die Brust, dann klappte die Tür zu.
Karla stand wieder auf der Straße, auf der noch immer kein Mensch zu sehen war. Sie spürte Tränen aufsteigen, als plötzlich die Glocke zu läuten aufhörte. Mit einem Mal fühlte sich Karla müde und erschöpft. Mit schweren Schritten und niedergedrückten Schultern schleppte sie sich zurück zum Pfarrhaus.
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Fünfzehntes Kapitel
Der Heilige Abend war angebrochen. Eine ganze Weile waren Karla und Pater Fürchtegott nun schon in Alwerode. Und in dieser Zeit war viel passiert. Doch nun hatte sich der Weihnachtsfrieden über das Dorf gesenkt.
Aus den Kaminen der Häuser und Katen stieg Rauch auf, einige Holzläden waren aufgeklappt, aber auf der Gasse waren weder Mensch noch Tier zu sehen. Die Holzschuppen waren beinahe leer, weil es Brauch war, während der Raunächte kein Holz ins Haus zu bringen. Ein verspäteter Knecht drüben auf dem Hettrichhof schichtete die letzten Scheite auf. Auch Wäsche durfte bis zum Tag der Heiligen Drei Könige nicht gewaschen werden, deshalb hingen jetzt noch in vielen Gärten Kleider, Unterzeug, Betttücher und Nachthemden. Heute bei Sonnenuntergang würde von all dem nichts mehr zu sehen sein.
Karla stand am Fenster ihrer Kammer, sah auf das stille Dorf hinunter und dachte an den schwarzen Jo. Ob er wieder allein in seinem Schuppen war, zwei Särge neben sich und gerade dabei, den dritten zu tischlern? Das Bild brannte ihr Tränen in die Augen. Der schwarze Jo. Sein gutes Gesicht. Die traurigen Augen. Warum fühle ich mich ihm so nah?, fragte sich Karla. Mir ist, als kennte ich ihn schon so lange, als wüsste ich alles über ihn, und dabei weiß ich gar nichts. Aber ich fühle, dass er mir ähnlich ist. Sie seufzte und wünschte sich, das Leid mit ihm tragen zu können, obwohl sie schon ahnte, dass man Leid so nicht teilen konnte. Das Leid blieb stets im Ganzen erhalten, ganz gleich, wie viele andere sich damit mühten. Nur Freude ließ sich teilen, aber auch die nur mit wenigen. Vielleicht, dachte Karla, steigt heute der Weihnachtsengel hinab zur Michelsmühle. Vielleicht bringt er ein wenig Frieden dorthin.
Es war die Zeit kurz vor der Vesper. Im Tal stieg Nebel auf, verwischte die Konturen. Gleich würden die Frauen aus den Häusern kommen und die Wäsche von den Leinen holen. Karla schauderte ein wenig. Die Raunächte, dachte sie, durchbrechen die Grenzen zum Geisterreich. Sie fühlte sich ein wenig schutzlos, wie sie da am Fenster stand, in den Nebel sah und nicht wusste, ob es wirklich Nebel oder schon der erste Atem der Geister war. Seit sie denken konnte, hatte Karla die Zeit der Raunächte besonders fasziniert. Immer war es ihr vorgekommen, als wäre die Welt dann ein wenig anders. Stiller. Heller irgendwie. Sie hatte keine Angst vor Geistern oder Gespenstern. Im Gegenteil. War sie im Wald, so sprach sie die Waldgeister an, wünschte ihnen einen guten Tag. Wenn sie in der Dunkelheit allein war, so grüßte sie die Geister der Nacht. Immer hatte sie den Eindruck gehabt, dass ihr die Wesen aus der Anderwelt gutgesinnt waren. Und in den Raunächten fühlte sie sich ihnen nahe. In den Tagen zwischen dem Heiligen Abend und dem Dreikönigstag war ihr selbst das Leben im Weiler erträglicher vorgekommen. In dieser Zeit hatte sie gewusst, dass das Weilerleben nicht alles war. Dass es mehr gab. Und ihre Neugier auf das andere Leben war immer größer geworden. Aber in diesem Jahr war es anders. Ihr war nicht mehr danach, im Freien zu sein. Sie suchte nicht nach zartesten Berührungen, die vielleicht von einem Windhauch, vielleicht aber auch von einem guten Geist stammen konnten. Sie blickte nicht in die kahlen Äste der Bäume und suchte darin nach einer Bewegung, die trotz der Windstille erfolgte. Sie blickte nicht einmal den Tieren in die Augen, um zu ergründen, ob diese ihre Sprache verstanden. Nein, in diesem Jahr
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