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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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kleinen Weilers, und niemand fror, obwohl es so kalt war.
Uns ist heute der Heiland geboren.
    Während der Lesung der Weihnachtsgeschichte hatte Karla alles vor sich gesehen. Die schwangere Maria, die nirgends eine Unterkunft fand. Ihre Erleichterung, als das Kind geborgen im Stroh lag. Karla kannte die Geschichte gut, war aber in jedem Jahr wieder froh für Maria gewesen. Auch in diesem. Sie sah mit leuchtenden Augen und glühenden Wangen zu Pater Fürchtegott, der ihr in diesem Augenblick wie Mariens Retter erschien.
    Allerdings war sie hier, in Alwerode, allein mit ihrer Furcht um die Mutter Gottes. In den anderen Bänken scharrten Füße, wurden Kleider zurechtgerückt, Däumchen gedreht, Kichern unterdrückt, da wurde getuschelt und geflüstert und gewispert.
    Karla drehte sich um, besah die fromme Gesellschaft – und erschrak. Auf keinem einzigen Gesicht erspähte sie Feierlichkeit. Alle – alle! – hatten ihre Alltagsgesichter angezogen. Gesichter, die griesgrämig wirkten. Heruntergezogene Mundwinkel, Falten zwischen den Augenbrauen, missmutige Blicke aus schmalen Schlitzen. Für einen Augenblick stieg Ärger in Karla auf. Aber dann sah sie die Müdigkeit in den Gesichtern, die Erschöpfung, die Zweifel und die Angst. Else neben ihr knetete das Kleid, fingerte ab und zu an ihrem Rosenkranz, starrte ansonsten auf den Boden zu ihren Füßen. Die dürre Bernadette rutschte auf ihrer Bank herum, als stehle ihr der Pater die Zeit, als gäbe es etwas, das dringend erledigt werden müsste. Jetzt. Auf der Stelle.
    Ihnen fehlt die Ruhe, erkannte Karla. Sie finden nicht zu Gott, weil ihnen die Ruhe fehlt. Und Ruhe gibt es nicht, wo die Angst wohnt. Ganz deutlich sah Karla es in den Gesichtern der Wegenerin, der Dorfschulzin, des Wirtes, im Gesicht von Hettrich und Hoffmann und ganz besonders in den Augen vom Beckmann, dessen Frau Elisabeth sich aufgehängt hatte. Jung und schön, wie sie war. Einfach aufgehängt, und niemand wusste, warum. Der Beckmann am allerwenigsten. Und seither spukte ihre Seele im Beckmannhaus, wimmerte und weinte in jeder Nacht, und der Beckmann hatte das nicht ausgehalten und war fortgegangen von zu Hause, hauste jetzt in der letzten Kate neben der alten Alrun.
    Das Kichern und Tuscheln der Mägde wurde immer schriller. Wie Gänse hockten sie in der Bank, wärmten einander die Flügel und konnten nicht mehr von Herzen froh sein. Karla überlegte, welche von ihnen heute eine Schweinsblase zwischen den Schenkeln trug, aber da war Pater Fürchtegott am Ende seiner Predigt angelangt und erteilte den Weihnachtssegen. Mit ausgebreiteten Armen stand er vorn. Wie eine Glucke, die ihre Küken unter sich versammelt. Aber seine Arme reichten nicht so weit wie die Angst, das sah Karla. Und deshalb war der Weihnachtssegen ohne Kraft. Nur ein paar Worte, hingesagt in einen Raum, der auch keinen Schutz versprach.
    Im Weiler kam nach der Predigt und dem Segen der Gesang. Laut und von Herzen und so, dass ihnen allen noch wärmer wurde. So warm, dass sie ein bisschen davon mit hinausnehmen konnten in die Nacht, in die erste Raunacht.
    Hier sang niemand. Hier griff man nach den Umhängen, den Schals und den Kappen, hier kramten Hände nach Handschuhen, hier suchte ein jeder ganz versunken zusammen, was ihm gehörte. Und niemand sah zu Pater Fürchtegott, der da vorn stand, als hätte ihn wer vergessen.
    Da stand Karla auf, trat nach vorn, fasste den Pater bei der Hand. Sie holte tief Luft, weitete den Brustkorb und begann zu singen:
     
    «Vom Himmel hoch, da komm ich her.
    Ich bring euch gute neue Mär,
    Der guten Mär bring ich so viel,
    Davon ich sing’n und sagen will.»
     
    Und Pater Fürchtegott stimmte ein. Zusammen standen sie beim Altar, hielten sich an den Händen und sangen an gegen die Verhärtung der Herzen und gegen die Angst. Und dann kam die Alrun, nahm den Pater bei der anderen Hand und sang mit:
     
    «Euch ist ein Kindlein heut geborn
    Von einer Jungfrau auserkorn,
    Ein Kindelein, so zart und fein,
    Das soll eu’r Freud und Wonne sein.»
     
    Die Bernadette, ihren Buben schon bei der Hand, blieb stehen, glotzte nach vorn, ließ den Buben los, presste eine Hand auf ihr Herz und sang die dritte Strophe mit. Und Rieke, die stumme Magd, hatte sich in den Kirchengang gestellt, ließ die Trudl an sich zerren und ziehen und blieb stehen, das Gesicht von Tränen benetzt.
    Der Glenbauer trieb sein Weib den Gang entlang, trieb sie vor sich her und aus der Kirche hinaus. Und der Krügerwirt

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