Teufelsmond
die nach Fisch riechenden Hände zu waschen, da stand schon der Kirchgang an. Sie schlüpfte in die Stiefel des Pfarrers, legte sich den Umhang um die Schultern, band den Schal um Mund und Nase und begab sich auf die Dorfstraße.
In allen Häusern brannten mittlerweile die Kerzen, welche die schwarze Nacht aber nicht durchdringen konnten. Die Alweröder in ihrer Sonntagskleidung begaben sich zur Kirche, schoben ihre Alten auf Karren, trugen ihre Kinder auf dem Arm, schleppten auch die Kranken und Schwachen mit sich. Die Hausknechte gingen den Familien voran, trugen Fackeln in den Händen, die gespenstische Schatten warfen, zugleich aber das Dorf in einen warmen gelben Lichtschein hüllten. Aus den Häusern drangen Düfte nach Gebackenem und Gebratenem.
Die Kirche war so voll, wie es Karla aus ihrem Weiler kannte. Sie setzte sich ganz nach vorn, an den Rand der ersten Bank und drehte den Kopf ins Kircheninnere. Sie sah den Glenbauern mit der Bäuerin, die zur Feier des Tages eine neue Haube trug und dem alten Glen neben sich hin und wieder mit einem Tuch den sabbernden Mund abwischte. Neben ihr hockten drei Kinder mit sauberen Gesichtern und gekämmten Haaren. Auf der Bank dahinter saß der Schuhmacher Henn Wegener mit seinem jungen, drallen Weib, dessen Kleid so tief ausgeschnitten war, dass selbst der Knecht Ruprecht ins Stocken gekommen wäre. Sie wandte sich nach hinten zu den Mägden, flüsterte etwas, dann unterdrückte sie ein Kichern. Henn Wegener stieß ihr kräftig den Ellbogen in die Seite, und die Schuhmacherin hielt inne, raffte sogar ihr Brusttuch zusammen. Auf der anderen Seite hockten die Hettrichs in der Bank. Die dürre Bernadette schielte vor Aufregung ein bisschen, ihr Mann saß neben ihr mit geduckten Schultern und einem Gesicht, aus dem abzulesen war, dass er den Heimgang nicht erwarten konnte. Der Junge saß zusammengesunken daneben und warf hin und wieder prüfende Blicke auf seine Mutter.
Das Weib des Dorfschulzen in der ersten Bank reckte und streckte den Busen, um die neue Kette zur Schau zu stellen, die sie am Nikolaustag ihrem Mann aus den Rippen geleiert hatte. Der Schulze selbst hatte sich ein Wams aus schwarzem Samt angelegt und einen weißen Kragen umgebunden, der ihn nicht vornehm, sondern lächerlich aussehen ließ.
Der Wirt Krüger saß in der Bank vor den Mägden, rieb sich die rote Nase, zählte die Anwesenden und schien auszurechnen, wen er danach noch auf einen Trank in die Schenke locken konnte.
In der letzten Bank, der Bank der Mägde, wurde getuschelt und gewispert. Else, die neben Karla saß, stand auf und machte den Mägden wütend Zeichen, doch diese sahen gar nicht zu ihr. Erst als die alte Alrun sich in die Mägdebank setzte, kehrte Ruhe ein, und Pater Fürchtegott begann: «Und es begab sich zu einer Zeit …»
Karla hörte zu, wollte zuhören, denn die Christvesper war für sie schon immer etwas Besonderes gewesen. Doch ihre Gedanken huschten immer wieder weg, bahnten sich ihren Weg durch die dunklen Täler und besuchten den alten Weiler. Festlich war es dort zugegangen. Die Kirche war geschmückt worden, an jeder Bank ein Tannenzweig mit rotem Band. Auf dem Altar war eine Krippe aufgebaut gewesen. Jesus und Maria, das Kind im Stroh, Ochs und Esel daneben. Hier war der Altar leer, niemand hatte Tannenzweige geschmückt. Und die Leute aus dem Weiler, der Leberecht, die alte Grit, die Stiefmutter, sie alle hatten in ihren schönsten Kleidern in den Bänken gesessen, die Wangen rot vor Aufregung. Die Frauen womöglich schon in Gedanken bei dem bevorstehenden Festessen, die Männer müde von der Arbeit, zugleich aber froh über die beginnende Winterpause. Und die Kinder hatten mit Nüssen und Äpfeln gespielt, und sogar die Alten und Siechen hatten ein Lächeln im Gesicht.
Uns ist heute der Heiland geboren.
Natürlich war kein Pfarrer im Weiler gewesen. Der Dorfschulze hatte die Predigt gehalten. Und wenn er diesen Satz verkündet hatte, dann war es Karla warm ums Herz geworden, und ihre Seele hatte sich aufgeschwungen bis unter das Kirchendach. Liebe hatte sie empfunden. Dieses eine Mal im Jahr war sie den Menschen zugetan gewesen. Allen Menschen, sogar der Stiefmutter und Leberecht. Und sie hatte Gott gespürt.
Sonst nie. Karla konnte sich nicht erinnern, dass der Herr ihr jemals auf ein Gebet geantwortet hatte. Oder ihr eine Antwort auf eine Frage gab. Für Karla blieb der Herr im Himmel stumm. Nur an Weihnachten nicht. Da war er da, war in der Kirche des
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