Teufelsmond
wischte sich ein Tränlein ab und floh auch. Das Weib von Henn Wegener kam nach vorn, riss den Mund auf und sang so laut, dass ihre Stimme erst unter dem Dach zum Halten kam.
Und der Beckmann kniete nieder und bekreuzigte sich, und sein Gesicht war ohne Last. Bei der letzten Strophe sangen alle mit. Und die, die nicht singen konnten, die trampelten mit den Füßen und brummten und summten.
Als der letzte Ton verklungen war, da spürte Karla endlich den Weihnachtsfrieden. Sie drückte fest Pater Fürchtegotts Hand und sah in Elses Gesicht, das ganz ohne Gram war. Und der Beckmann erhob sich und lächelte vorsichtig, so, als hätte er es nach dem Tod seines Weibes verlernt und müsste es erst wieder üben. Rieke, die stumme Magd, umarmte die Alrun, und Bernadette strich ihrem Buben über das Haar.
Pater Fürchtegott blies die Kerzen aus, und alle gemeinsam verließen sie das Gotteshaus. Draußen standen sie beisammen unter der Lügenlinde und wollten noch nicht zurück in ihre einsamen Katen, ganz gleich, ob dort ein Braten wartete.
Karla wusste später nicht mehr zu sagen, wer der Erste war, der mit dem Finger nach drüben zur Michelsmühle zeigte. Sie sah nur, wie der Weihnachtsfrieden aus den Gesichtern verschwand, wie sie wieder hart und kantig wurden und die Mundwinkel sich nach unten bogen und die Stirnfalten sich tief wölbten. Plötzlich zeigten alle mit dem Finger nach drüben, plötzlich rückten sie auseinander, einer weg vom anderen. Plötzlich wurde es wieder kalt im Dorf. Kalt und dunkel.
Der Glenbauer schrie: «Da! Seht ihr die Lichter? Seht ihr das Licht nicht?»
Und er zeigte mit dem Finger rüber zur Michelsmühle und auf ein grünes oder blaues Licht, das wie ein giftiger Nebel über den Boden kroch. Und schon fiel der Bernadette die erste Raunacht ein. «Sie hat begonnen», flüsterte sie. «Es ist nach Mitternacht. Die Tore zum Geisterreich sind offen.»
Sie standen und starrten auf das grün-blau flimmernde Licht, für das niemand eine Erklärung fand, das aber alle deutlich sehen konnten.
Die Wegenerin schluckte, klammerte sich an ihren Henn und raunte: «Die Geister sind drüben. Dort sind sie. Was machen wir jetzt?»
Der Hettrich spuckte aus, packte seine Bernadette und den Buben und zerrte sie die Dorfstraße entlang.
Die stumme Rieke begann lautlos zu weinen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und ließ die Schultern beben, bis die Trudl sie packte und vom kleinen Platz wegzog.
«Da hilft die größte Gnade Gottes nicht, wenn es um die Michelsmüller geht», erklärte der Dorfschulze, und Krüger, der Wirt, breitete die Arme aus, als wolle er verhindern, dass alle wie die Hühner auseinanderliefen, und sprach: «Ich habe guten Würzwein in der Schankstube. Kommt und trinkt bei mir, da ist es warm, da ist es gemütlich.» Aber keiner folgte ihm. Alle gingen leise und geduckt zurück in ihre Häuser. Nur Else stand da, hob wichtig den Zeigefinger und erklärte: «Ich hab’s euch von Anfang an gesagt. Aber ihr wolltet ja nicht hören. Ich gehe jetzt heim. Ich will das Böse dort drüben nicht tanzen sehen. Ich hab’s ja gleich gesagt. Das da, das Licht, das tanzt auf dem Friedhof der Mühle.»
«Was soll das heißen?», fragte der Pater, der seinen Blick nicht von dem schaurigen Schauspiel lösen konnte.
«Das soll heißen, wenn Ihr noch lange dort stehen bleibt, dann könnt Ihr die Müller auf den Gräbern ihrer Lieben tanzen sehen», plärrte die Else, und Karla schien es, als wäre sie froh, dass sich das Böse über das Gute gesetzt hatte. «Und wenn Walpurgisnacht wäre, dann könntet Ihr vielleicht sogar sehen, wie der schwarze Jo sich hier die Jungfrauen greift und ihnen Reisigbesen gibt, damit sie mit ihm auf den Brocken zum Hexentanz fliegen.»
Else bekreuzigte sich und schritt entschlossen die Gasse hinauf zum Pfarrhaus. Pater Fürchtegott sah ihr nach und murmelte: «Sie spricht, als wäre sie dabei gewesen.»
Und obwohl es Karla unbehaglich zumute war, musste sie kichern.
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Sechzehntes Kapitel
«Hast du Angst?», fragte Pater Fürchtegott am nächsten Morgen. Karla schüttelte den Kopf. «Ihr meint, vor den Lichtern?»
Fürchtegott nickte.
«Jeder hat davor Angst», geiferte Else und machte sich daran, aus den Resten des Karpfens, von dem so viel übrig geblieben war, eine Brühe zu kochen. «Wer keine Angst davor hat, der ist selbst mit dem Bösen im Bunde. Blaue Lichter, grüne Lichter! Hat man dergleichen in der christlichen Welt
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