Teufelsmond
ruhig und gelassen. Seine Worte drangen zwar in die Ohren der Dörfler, nicht aber in ihre Herzen und Hirne.
«Ihr irrt, Pater!» Die Stimme der dürren Bernadette klang hämisch und noch schriller als sonst. «Beim Satan ist das Gute und Böse vertauscht, das weiß jedes Kind. Für uns ist der Tod etwas Dunkles, die Michelsmüller aber, die Teufel dort drüben, sehen in ihm das Gegenteil.»
Pater Fürchtegott sah Bernadette verblüfft an. Die anderen Dorfbewohner aber nickten, sogar der Hettrich, der sonst kein gutes Haar an seinem Weibe ließ.
«Ihr meint, dass die Michelsmüller sterben, ist ein Beweis für das Böse?», fragte er nach, und wieder nickten die Umstehenden.
Dann umspielte ein Lächeln seine Lippen. Er breitete die Arme aus und sagte: «Dann braucht Ihr Euch aber nicht zu fürchten. Wenn sich das Böse selbst tötet, so ist es alsbald verschwunden, oder nicht?» Der Pater musterte die dürre Bernadette. Die wiegte den Kopf hin und her und biss sich mit den oberen Zähnen in die Unterlippe. «Mag sein, dass es auf den ersten Anschein so aussieht», erklärte sie ein wenig zögernd. «Das Böse rottet das Böse aus. Aber es wäre nicht wirklich das Böse, wenn es sich selbst ausrottet. Es wird auch auf die Guten übergreifen.»
Der Glenbauer nickte feierlich. «Das dürre Weib hat recht, auch wenn ich’s nicht gern zugebe. Es gäbe gar nichts Böses auf der Welt, wenn das Böse nur mit sich selbst beschäftigt wäre. Also ist es nur eine Frage der Zeit, wann das Böse von da drüben auf uns und unsere Kinder übergreift. Und eben das werden wir nicht zulassen!» Wieder schwang er sein Beil. Er maß den Pater von oben bis unten mit einem prüfenden Blick, zog dann den Rotz hoch, brummte und verließ den Platz der Lügenlinde. Sogleich zerstreuten sich auch die anderen, und nur Karla und der Pater blieben zurück.
«Ich gehe rüber», verkündete Karla, «ich will mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist.»
«Hm.» Pater Fürchtegott kraulte sich den Bart. «Ich komme mit. Natürlich komme ich mit. Aber eines wüsste ich zu gern: Was waren das für Lichter in der Nacht? Ich würd’s nicht glauben, hätte ich sie nicht selbst gesehen.»
Karla schüttelte sich ein wenig. «Es gibt Täuschungen. Ein jeder hat schon ein Ding gesehen, was beim zweiten Blick nicht da war.» Ihre Stimme klang leise und nicht besonders überzeugt.
«Und wie viele Blicke hast du auf die tanzenden Lichter geworfen?», wollte Pater Fürchtegott wissen.
Karla schwieg, zuckte nicht einmal mit den Achseln, sondern zog ihren Schal zurecht und ging mit langen Schritten weg von der Lügenlinde. Der Pater folgte ihr.
Als sie die große Handelsstraße überquerten, erspähte Karla in der Ferne eine Gestalt, die sich zu Pferd entfernte. Die Gestalt war ein ganzes Stück weg, trotzdem glaubte Karla, einen roten Mantel im Wind wehen zu sehen. Ein Reiter mit einem roten Mantel? Sie kniff die Augen zu, öffnete sie wieder – und die Gestalt war verschwunden. Sie schüttelte den Kopf.
«Was ist mit dir?», wollte Pater Fürchtegott wissen.
«Nichts», erwiderte Karla. «Es ist nur so, dass ich meinem ersten Blick gerade nicht traue.» Sie lachte. «Wahrscheinlich sind die Raunächte schuld daran.»
Sie bogen gerade auf den Hof der Michelsmühle ein, als sich die Tür des Hauses öffnete und ein Sarg herausgetragen wurde. Zwei Mühlenknechte, ein Mann, der dem schwarzen Jo ähnlich sah, und der schwarze Jo selbst trugen den Sarg. Die Mutter hatte schwarze Trauerkleidung angelegt; ihr Gesicht wurde von einem schwarzen Schleier verdeckt, und in der Hand hielt sie eine Kerze.
Sofie, den Säugling wie immer auf der Hüfte, folgte. Auch sie trug eine Kerze in der Hand. Und hinter ihr drängten sich eine weitere Frau im mittleren Alter, eine ganz alte und ein Mann, der vor Gram gebückt ging, aus der Tür.
Pater Fürchtegott und Karla bekreuzigten sich. Sie mussten nicht fragen; sie wussten, dass hier die Tante zu Grabe getragen wurde. Stumm schlossen sie sich dem kleinen Trauerzug an und begleiteten ihn auf den Friedhof. Beim Anblick der beiden frisch aufgeworfenen Gräber und der leeren Grube rumorte das Mitleid wie ein Wurm in Karlas Eingeweiden. Sie sah zum schwarzen Jo, dessen Miene unbewegt war. Er hatte das Kinn vorgeschoben und vermied es, Karla anzusehen. Die Trauer hatte seine Schultern gebeugt. Ihr kam es vor, als wäre der schwarze Jo geschrumpft.
Pater Fürchtegott stellte sich neben den Sarg und sprach den
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