Teufelsmond
Licht den Misthaufen erreichte, hätte Karla am liebsten aufgeschrien. Das Schwein, an dessen Leib gedrängt sie lag, schimmerte grünlich. Das Schlimmste aber war, dass sein Leib aufgedunsen war wie ein Fass. Und Karlas Hände, die nach dem Maul gefasst hatten, waren voll von einer blutähnlichen Flüssigkeit, die entsetzlich stank und sämtliche Erinnerungen an die Nacht des Exorzismus in ihr hervorriefen.
Sie schüttelte sich vor Ekel, musste würgen.
«Wer da?», rief der Hettrich noch einmal, und aus dem Hintergrund erklang Bernadettes Stimme. «Mach das Fenster zu. Es wird kalt. Außerdem ist heute Silvester. Die schlimmste der Raunächte. Die Geister sind los. Also mach endlich das verdammte Fenster zu!»
Das Licht erlosch, und Karla lag im Dunkel. Silvester, dachte sie. Es ist Silvester. Sie überlegte, wie lange es noch bis Mitternacht dauern könnte, da schlug die Kirchenglocke zehn Mal. Karla rappelte sich auf, klopfte sich mit zitternden Händen den stinkenden Mist vom Kleid, schüttelte ihr Haar. Eine Ratte lief über ihren Stiefel, und jetzt verstand Karla auch, was es mit der Rattenprozession vor einigen Tagen auf sich gehabt hatte. Die Tiere hatten den Kadaver gerochen; und waren in Scharen zu diesem Misthaufen geeilt. Karlas Haut fühlte sich klebrig an, und der Kadavergeruch saß in ihrer Nase. Auf der Straße herrschte noch immer tiefe Stille. Nur drüben, auf dem Glenhof, kläffte gelangweilt ein Hund.
Karla befürchtete, Leberecht könnte auf der Straße auf sie warten. Deshalb beschloss sie, durch ein Loch im Gartenzaun der Hettrichs zu steigen und vom Pfarrhausgarten aus ins Haus zu kommen.
Vom Hof aus betrat sie die Küche. Else saß in einem Lehnstuhl, den Rosenkranz um die Finger geschlungen, und schlief. Vor sich auf dem Tisch hatte sie etliche Töpfe und Deckel aufgebaut.
Als die Tür hinter Karla ins Schloss fiel, schrak Else mit einem Schrei hoch.
«Pst», beschwichtigte Karla sie. «Es ist nichts passiert. Alles ist gut. Ich bin ausgerutscht und in den Abfallgraben beim Glenbauern gestürzt.»
Else rieb sich die Augen. «Wie spät ist es?»
Karla sah auf die Stundenkerze. «Kurz nach zehn Uhr am Abend.»
Else seufzte. «Noch zwei Stunden bis zur Mitternacht. Gebe Gott, dass danach der ganze Spuk vorüber ist.»
«Glaubst du wirklich, die Geister und Dämonen verschwinden in dieser Nacht?»
Else nickte, aber nicht sehr überzeugend. «So war es immer. So ist es Brauch.»
«Warum hast du die Töpfe auf den Tisch gestellt?», wollte Karla wissen.
«Auch das ist Brauch», erklärte Else. «Um Mitternacht werde ich die Deckel auf die Töpfe schlagen. Weißt du es nicht? So vertreibt man die Geister.»
Karla nickte. Auch in ihrem Weiler hatte man es so gehalten. Doch der Weiler war so weit weg. Ihr war, als wäre es Jahrzehnte her, dass sie dort gelebt hatte. Mit einem Mal fiel ihr Leberecht wieder ein.
«Hast du jemanden im Dorf gesehen, der fremd ist?», fragte sie die Else.
Kerzengerade richtete sich die Haushälterin auf, kniff Augen und Mund zusammen. «Warum fragst du?»
Karla zuckte mit den Achseln. «Einfach so. Mir schien, als hätte ich da jemanden gesehen, der mir unbekannt ist.»
Else verzog abschätzig den Mund. «So lange bist du nun auch wieder nicht hier, dass du alle Alweröder kennst!», wies sie Karla zurecht. «Und überhaupt: Du stinkst abscheulich.» Sie hielt sich die Nase zu und wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. «Wasch dich, aber rasch. Ich glaube, mir wird ganz schlecht von dem Gestank. Mach hin, ehe ich hier ohnmächtig zusammenbreche!»
Karla nahm den Kessel von der Feuerstelle und goss heißes Wasser in den Zuber. Dann schlüpfte sie aus ihrem Kleid und wusch sich. Else sah ihr stumm dabei zu und drehte den Rosenkranz in den Fingern. «Also: Wo warst du? Wo hast du dich so eingesaut?»
«Ich bin gefallen, das sagte ich doch schon. In den Abfallgraben des Glenbauern. Unten, nicht weit vom Bach entfernt», erklärte Karla müde und goss sich einen Eimer Wasser über das Haar. «Im Dorf war ich und in den Wäldern ringsum. Ich brauchte frische Luft, um meine Gedanken zu ordnen.»
«Aha. Und worüber hast du nachgedacht, so ganz allein im Wald und im Abfallgraben?»
Karla antwortete nicht, sondern schrubbte an den Flecken ihrer Wäsche herum.
«Hast du ein Kleid, das du mir leihen kannst, bis meins wieder trocken ist?», fragte Karla und schwenkte ihr Tuchkleid im Wasser.
Else verzog den Mund und betrachtete Karla misstrauisch.
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