Teuflische Kuesse
selbst ihm den schrecklichen Schlag verpasst.
Sie zog ihm
den Quilt über die Brust, beugte sich vor und küsste ihn zart auf die Stirn.
Das
musste ein Traum
sein.
Was sonst
hätte den Duft von Orangenblüten erklärt und die Frauenlippen, die sanft seine
Stirn berührten? Irgendetwas regte sich tief in seinem Inneren, ein
verschwommener Geist, gewebt aus dem Nebel der Erinnerungen und der Träume.
Aber bevor er ihn zu fassen bekam, entglitt er ihm, rief ihm noch etwas zu, das
wie sein Name klang. Doch die Stimme war zu kraftlos und zu weit entfernt, als
dass er sie hätte verstehen können.
Er sehnte
sich danach, dem Wesen zu folgen, aber ein enormes Gewicht drückte ihm aufs
Herz. Er schlug die Augen auf und sah eine dicke, gelbe Katze, die ihn mit
weisen, goldenen Augen anschaute, auf seiner Brust sitzen.
»Nellie«,
flüsterte er. Wie sonderbar, dass er sich an ihren Namen erinnerte, nicht aber
an seinen eigenen.
Er streckte
die Hand nach der Katze aus und erwartete, sie in den Nebel schwinden zu sehen,
wie den anderen, nicht fassbaren Schatten. Doch seine zitternde Hand bekam das
weiche, saubere Fell zu fassen. Er streichelte sie, und ihr Schnurren ließ ihn
auf einer Woge der Zufriedenheit treiben. Ihm fielen die Augen zu.
Wenn das
ein Traum war, wollte er nie mehr erwachen.
Cookie kam am nächsten Morgen geschäftig
in Lady Eleanors Schlafzimmer. Sie hatte eine Waschschüssel unter dem Arm und
ein fröhliches Pfeifen auf den Lippen. Als ihr Blick aufs Bett fiel, erstarb
das Liedchen mit einem Missklang.
»Da soll
mich doch der Teufel ...«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf.
Irgendwann
des Nachts hatte Laura ihre Wacht aufgegeben, war im Stuhl nach vorne gesackt
und mit dem Kopf auf der Brust des Fremden gelandet. Sie schlief den Schlaf der
rechtschaffen Erschöpften, den Rücken unbequem gekrümmt, einen Arm
schlaff an der Bettkante hinunterhängend. Der Bursche schlief ebenfalls, die
Hand allerdings um Lauras Kopf gelegt und die Finger besitzergreifend in etwas
hinein gewühlt, das einst ein adretter Haarknoten gewesen war.
Cookie
machte ein finsteres Gesicht. Falls dieser Schurke ihre junge Mistress auch nur
irgendwie kompromittiert hatte – sie würde nicht zögern, ihm die Waschschüssel
übers Hirn zu hauen und ihn ein für alle Mal schlafen zu schicken.
Doch ihre
Befürchtungen schwanden, je näher sie sich heranschlich. Mit geschlossenen
Augen und offenen Mündern wirkten die beiden so unschuldig wie zwei zahnlose
Säuglinge.
Sacht
schüttelte sie Laura bei den Schultern. Das Mädchen setzte sich kerzengerade
auf, wobei ihr eine widerspenstige Locke übers Auge fiel. »Oh, lieber Gott! Ich
hätte nicht einschlafen dürfen. Er ist tot, oder?«
»Unsinn. Er
ist nicht tot. Deine gute Pflege hat dem Burschen sogar ein bisschen Farbe auf
die Wangen gebracht.«
Laura warf
einen Blick auf ihren Patienten. Cookie hatte Recht. Er atmete ruhig und
gleichmäßig. Und die Wangen hatten ihre gespenstische Blässe verloren.
Cookie
nickte allwissend. »Jetzt muss der Kerl nur noch ordentlich durchgeschrubbt werden.«
»Lass mich
das machen«, sagte Laura automatisch und griff nach der Schüssel.
Cookie zog
mit entgeisterter Miene das Becken weg. »Bestimmt nicht, Mädchen. Schlimm
genug, dass ich dir erlaubt hab, die Nacht über auf ihn aufzupassen. Wenn ich
dich ihn waschen lass, springt Lady Eleanor noch aus dem Grab heraus.« Sie
zeigte mit dem Finger aufs Bett. »Fast vierzig Jahre bin ich jetzt mit dem
alten Lüstling von einem Ziegenbock verheiratet, und ich versprech dir, der
junge Bursche da hat nichts, was 'ne alte Frau wie ich nicht schon hundertmal
gesehen hätt.«
Sie
versperrte Laura die Sicht, lüpfte den Quilt, als wolle sie ihre Behauptung
beweisen und linste darunter. Weil der Fremde ja immer noch die anliegenden
Wildlederhosen trug, konnte Laura sich einfach nicht vorstellen, was die
faltigen Wangen der Dienstmagd plötzlich so rot werden ließ.
Cookie ließ
die Federdecke fallen und schluckte schwer. »Die alte Cookie hat vielleicht ein
bisschen übereilt dahergeredet, aber denk dir nur nichts, Kind.« Sie packte
Laura am Arm, bugsierte sie, nach wie vor die Waschschüssel haltend, rückwärts
zur Tür und schwappte bei jedem Schritt Wasser aus der Schüssel. »Ich hab dir
in der Küche ein heißes Bad eingeschüttet. Jetzt geh und richte dich
ordentlich her. Ich kümmere mich um deinen feinen Herren da.«
Bevor
Lauras übermüdeter Verstand noch einen Protest
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