Teuflische Lust
und streckt, beinahe zögerlich, die Hand aus.
Er flüstert etwas, das ich nicht verstehe. Zu mir dringen nur die Schwingungen seiner Stimme vor. Die klingt sanft, lieblich, wie die Stimme eines Engels. Und erst da berührt er ihre Haut und streichelt die bleiche Wange des Mädchens. Vorsichtig, langsam, behutsam.
Es ist ein Ausdruck von Zärtlichkeit, fast möchte ich es Hingabe nennen, und es scheint mir, während ich diesen unerwarteten Anblick verarbeite, als geschehe hier nichts Böses. Das ist natürlich Unsinn. Es sind die Verführungskünste des Inkubus. Der Trick scheint zu funktionieren. Ich sehe ein sanftes Lächeln in Mathildes Gesicht, und sie rückt ein Stück zur Seite, macht ihm Platz in ihrem eigenen Bett. Ganz freiwillig. Ich sehe Sehnsucht in ihrem Blick, der verrät, dass sie nicht ganz Herrin ihrer Sinne ist.
Der Inkubus nimmt die Einladung an. Er steigt zu ihr ins Bett. Ich sehe das erigierte Glied. Nun legt er sich auf sie, und sein Körper rückt zur Mitte des Bettes auf, genau an die Stelle, unter der sich meine Schatulle aus Dämonengold befindet. Schon sehe ich ein Glimmen unter dem hölzernen Gestell.
Ein helles Licht, das sich rasend ausbreitet. Eben noch hat der Inkubus ihre Brust mit der Hand umschlossen, im selben Moment glaube ich zu erblinden.
Gleißendes Licht durchflutet den Raum. Ich torkle zurück, kneife geblendet beide Augen zusammen, halte die Hände vors Gesicht und versuche der Schmerzen Herr zu werden.Es fühlt sich an, als fräßen sich glühende Flammen in meinen Schädel.
Ich höre einen lauten Schrei, und es dauert eine Weile, ehe mir klar wird, dass er nicht aus meiner Kehle dringt, sondern aus Mathildes Zimmer. Ich bin erschöpft, kann mich nicht auf den Beinen halten und sinke zu Boden. Dort verharre ich, kämpfe gegen den Schmerz, bis er endlich weicht.
Erste dunkle Flecken tanzen vor meinen Augen, ich sehe wieder Umrisse, Schatten, ja sogar die Tür ist zu erkennen. Mein Blick ist nicht klar genug, um Details zu sehen. Wo die Klinke ist, weiß ich nicht.
Mein erster Gedanke gilt Mathilde. Ich muss zu ihr. Schon stehe ich wieder auf den Beinen, taste nach dem Türgriff, drücke ihn hinunter und stehe in ihrem Zimmer. Das Licht ist fort. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Immer noch liegt ein leichter Schleier über meinem Blick. Ich frage mich, ob er je verschwinden wird.
»Mathilde?«, rufe ich, doch erhalte keine Antwort. Dann vernehme ich ein Schluchzen. Jetzt entdecke ich sie. Sie hockt neben dem Bett, diese kleine, dürre Gestalt. Zwischen ihren Händen erkenne ich unscharf die Schatulle. Der Deckel ist geschlossen. Großartig, Mädchen! Wir haben triumphiert! Ich könnte vor Freude tanzen, doch ich merke schnell, dass mit Mathilde etwas nicht stimmt, und halte mich zurück.
Als ich mich zu ihr setze, sehe ich dunkle Flecken unter ihren Augen. Es riecht nach Blut. Armes Mädchen. Sie wird Zeit brauchen, das Geschehene zu verstehen. Zu verstehen, dass es kein Traum war. Doch zumindest wird sie leben.
Hinter mir höre ich Schritte. Mathildes Eltern betreten den Raum. Die Mutter bricht weinend neben ihrer Tochter zusammen.
AmRande vernehme ich die Vorwürfe, die man mir macht. Aber ich bin mit der Entwicklung zufrieden. Der Dämon ist gefangen. Für immer.
Prof. Marvin Norgret. Auszug aus dem Kompendium »Die Lehre von den Dämonen« aus dem Jahr 1798.
Berlin. Heute.
Alexia Kling hatte nach einem Urlaubssemester ihr Studium der Psychologie wieder aufgenommen und war aus dem elterlichen Heim in den Lazarusweg 23 gezogen. Nun lebte sie in einer Zweizimmerwohnung im zweiten Stock eines gemütlichen Eckhauses in der Nähe des wunderschönen Lazarusparks. Vor ihrer Haustür erstreckte sich eine weite Wiese, auf der sich die Nachbarn an besonders warmen Tagen sonnten oder den Grillplatz nutzten. Der Geruch von Rostbratwürsten und Schweinekamm lag oft noch am nächsten Tag in der Luft. Morgens wurde sie vom Zwitschern der Vögel geweckt, und blickte sie aus dem Fenster, sah sie ein Meer aus sattem Grün, das sich sanft im Wind wiegte. Riesige Baumwipfel waren das, die fast so hoch hinaufreichten wie das kleine Eckhaus mit seinen drei Stockwerken. Und die Luft war hier so herrlich frisch und sauber. Sie fühlte förmlich, wie ihre Energie wuchs, wenn sie morgens am Fenster stand und tief einatmete. Den kleinen See, dessen Wasser golden im Licht der Morgensonne schimmerte, konnte sie ebenfalls von hier aus sehen. Erst gestern hatten einige
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